Kraft, Pinsel und weniger Alkohol

Da sage mal noch einer ich wäre nicht spontan: Aus dem Stand wende ich mich dem gedanklichen Dauerbrenner ‚Eigene Bildträger herstellen‘ zu. Ein paar Besorgungen und es kann losgehen. Von Vorteil für die Realisierung ist, mir kurzerhand eine Woche Urlaub zu gönnen. Wenn das Semester wieder gestartet ist, bleibt mir nur das Wochenende oder die üppigen Feiertage der nächsten Monate.

Anfänglich möchte ich die Emulsion mit einem Kunststoff-Spachtel aufbringen. Den Gedanken muss ich wegen der Ungleichverteilung der vergossenen Fotoemulsion und damit der arg sichtbaren Spuren begraben. Sicherlich kann ich mit einer durchgewärmten Unterlagen das nachträgliche Fließen der Emulsion etwas steuern und damit eine bessere Verteilung erzielen, nur ist mir der Aufwand einfach zu viel. Der Arbeitsplatz muss dafür einfach in Waage/Wasser sein. Es muss einfacher und ohne Kamm* als Rakel gehen. Weil vorhanden, greife ich zu einem Flächenpinsel aus Kunststoff. Siehe da, den Emulsionsauftrag habe ich im Griff und bei Bedarf sogar schnucklige Wischstreifen im Bild. Alles zufallsgesteuert mit manchmal recht lustigen Konsequenzen. Verdünnt wird die Gelatine vor dem Erwärmen mit etwas (weniger) Alkohol. Der nimmt dem ganzen Aufstrich auch die lästige Blasenbildung.

Neben dem Druckerpapier für Tintenstrahlausdrucke fasse ich Kraftpapier ins Auge. Früher haben wir Packpapier dazu gesagt, aber das klingt heute wohl viel zu schnöde. Kraftpapier ist belastbar und übersteht den typischen fotochemischen Prozess. Man darf sich nur nicht von der Grammatur täuschen lassen. Meine Wahl fiel auf 220 Gramm pro Quadratmeter, was bei normalen Papier schon am Karton kratzt. Haptisch denke ich bei dem gekauften Kraftpapier eher an das nichtkartonierte ORWO-Fotopapier. Apropos Barytpapier: Kurzzeitig denke ich darüber nach, eine Art ‚Barytschicht‘ mit weißer Kreide und Gelatine nachzubauen. Den Gedanken verwerfe ich wieder. Ich möchte das Braun des Kraftpapiers als Grundton der Bilder, die ich damit mache. Nicht weil ich muss, sondern weil ich es kann.

Insbesondere beim Spachteln der Emulsion stochere ich bei der Entwicklung im Dunklen. Ausgerechnet beim Lithen bekomme ich keinen Fuss auf den Boden. Peinlich! Ich entscheide mich um und ersetze das Lithbad durch den Bergger PMK, also Pyrogallol als Positiventwickler. In Kombination mit den Selbstbeschichtungen mit dem Flächenpinsel gibt es einen gewaltigen Sprung nach vorn. Es kommt zu einer gewissen Kontinuität, wenn auch es weiterhin Ausreißer gibt. Derart motiviert statte ich hier in Berlin dem Künstlerbedarf Modulor einen Besuch ab und schaue mir verschiedene Papiere an. Letztlich greife ich zu Hadernpapier und Finnische Holzpappe. Auch wenn Hadernpapier an Büttenpapier erinnert und mir ein paar Katastrophen in der Cyanotypie dazu einfallen, so bereitet mir Hadernpapier sehr viel Freude: Pyrogallol gerbt die Emulsion und das Baumwollgeflecht bleibt weiß! Der Farbige unter den Schwarzweiß-Maker geht in mir durch. Dazu die Struktur des Papiers, eine wirklich gute Wahl. Selbst den fotochemischen Prozess macht Hadernpapier mit, weshalb ich zukünftig neben Kraft- auch auf Hadernpapier setze.

Beim Primer greife ich auf ’normale‘ Gelatine zurück. Die zukünftigen Abzüge sind Kunstobjekte und irgendwie spielt in mir der ‚Zeitgeistgedanke‘ Nachhaltigkeit, Upcycling des Banalen wie auch Ausgemusterten eine Rolle. Zudem habe ich kein Problem damit, wenn das Altern meinen Bildern die Bildaussage nimmt. Die geschaffenen Abzüge sind keinem Stress a la illustrer Familiennachmittag mit Bilder zeigen und Kuchen an den Fettfingern ausgesetzt. Ich verzichte auf eine Gelatine-Schutzschicht über der Emulsion, wische stattdessen nach dem Durchtrocknen mit einem Alkohol und Glycerol-Gemisch die Oberfläche ab. Apropos trocknen: Beim Kraftpapier greife ich auf eine sanfte Heißtrocknung mit der Trockenpresse zurück, das Hadernpapier muss entspannt an der Luft trocken.

Wie weiter? Geht es überhaupt weiter?

Sein Fotopapier selbst zu gießen, auch wenn es wie in meinem Fall gepinselt ist, kostet Zeit. Selbiges gilt auch, nimmt man andere Trägermaterialien statt Papier. Das Ganze ist nicht so kompliziert und schwierig wie Influencer und Forengötter es Glauben machen wollen. Wohlgemerkt, man sollte nicht die Qualität, Zuverlässigkeit und Beständigkeit industriell gefertigter Bildträger erwarten. Handwerklich vorgehend ist es einfach unmöglich, immer gleiche und gleichmäßig gegossene Schichtdicken zu erzielen. Das geht nur durch Mechanisierung und Automatisierung. Dieses Vorgehen nimmt wiederum den Spaß an der Sache eigenes Bildträger zu erschaffen. Wer mit Ergebnissen von der Fotografischen Höhlenmalerei (ich sehe fast gar nichts) bis zur Hochkontrastentwicklung (es gibt nur Schwarz und Weiß) leben kann, dem sei diese Spielerei ans Herz gelegt. Gedanken an eine Emulsion mit flexiblen Kontrast sind zu begraben. Das ist in meinen Augen unangebracht, Augenwischerei und Geldmacherei. Diese Spielchen gehen mit industriell gefertigten Fotopapieren viel besser und zuverlässiger von der Hand.

* Ein Lösungsvorschlag aus dem Internet

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.