Schleierhaft*

* Geschrieben 2012

Im Moment läuft es wie schon lange nicht mehr wie am sprichwörtlichen Schnürchen. Fotografisch betrachtet! Alles was meine Gedanken formen und aus den Kameras kommt. 😀

An einer Wand meines Luxus-Loft-Beton-Appartements habe ich mir eine kleine Trout-Gedenkecke eingerichtet. Der Mann hat es gut, zumindest in meinen Augen. Er fotografiert analog und, das ist der Knackpunkt, er fertigt seine Bilder eigenhändig an. Mich nerven seine Berichte über Oxy-Print & Co. gewaltig. Nicht, weil er sich immer wieder darüber äußert. Mich wurmt, dass er so etwas umsetzen kann. Ich kann knipsen und meine Schwarzweiss-Filme selbst entwickeln. Am letzten Schritt des eigenhändigen Erschaffens eines Fotos fehlt es mir, aus Platz-, Zeit- und Geldmangel. Ja, an der Stelle kommt in mir so etwas wie Neid auf.

Genug auf künstlerischem Niveau gejammert. Kommt Zeit, kommt Rat. 🙂

Dann und wann verirren sich Anfragen bereitwilliger Menschen in mein Postfach. Es bleibt wie es ist: Über das Level der Interessenbekundung geht es nicht hinaus. Mann und/oder Frau scheint überrascht, dass ich mein Lager in Berlin aufgeschlagen habe. Eine Reise quer durch Deutschland kostet Zeit und Geld. Ich bin keine Schlampe, die sich wie Sauerbier zum Nulltarif anbietet. Jeder Shootingpartner muss da wohl seinen Teil tragen, dachte und denke ich. Daran ändere ich auch in Zukunft nichts.

Diese Gratis-Mentalität und das nicht Lesen können ist mir schleierhaft! Wozu hält der Staat an einer Schulpflicht fest, wenn am Ende der geschulte Mensch sein Wissen nicht anwenden kann … oder möchte!

Gott sei Dank gibt es hier und da die Ausnahmen von der Regel. Ich darf mich in Sachen Kunst austoben, ja es wird sogar gewünscht. Als meine Gegenleistung für die mir zur Verfügung gestellte Zeit müssen keine Standard-Schön-Portraits herauskommen. Stattdessen soll es schräg, unscharf, verwackelt … einfach gegen den Strom sein.

Die Serie „Schleierhaft“ passt genau in diese Kategorie. Ein Lensbaby, etwas längere Belichtungszeiten als üblich, teilweise mit Stativ, aber auch aus der Hand aufgenommen und eine digitale Entwicklung am Rande des Darstellbaren … wenn ein Billig-Display am Computer angeschlossen ist.

Nach einer langen Nacht der Wissenschaften und hinter mir liegenden 6 Tage-Arbeitswoche fällt eine gewisse Last aus meinem Kopf. Ich blättere durch ein Magazin der Fotografie, sehe den dritten Platz eines Wettbewerbs. Ja, es kann auch was absolut Unscharfes auf dem Treppchen landen. Nach der Beschreibung hatte ich mit einer ähnlichen Technik vor ca. drei Jahren gearbeitet. Folge ich meinem fotografischen Faden bis zum heutigen Tag, ändert sich noch einiges, die Baustelle Ausarbeitung bleibt.

Es stellt sich eine gewisse Zufriedenheit in mir ein, trotz der inneren Unruhe, die die nächsten fotografischen Gedanken in mir hervorrufen.

„Geduld Herr Capybara … Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut und selbst der liebe Gott hat eine Woche für unsere schöne Erde gebraucht!“

Nein, nein … ich möchte nicht hetzen oder irgendetwas über das Knie brechen. Ich versuche den Sonntag in Ruhe zu genießen und einen gewissen Abstand zu gewinnen. Dabei sortieren sich die Gedanken wie von selbst aus und kommen neue Ideen hinzu. Und in gewisser Weise verlasse ich mich auch auf das Modell, dass sich nicht nur interessiert gibt, sondern sich selbst einbringt. Insoweit ist meine „Leistung“ eine echte Teamarbeit …

Update 2020
Die erwähnte Trout-Gedenkecke gibt es mittlerweile nicht mehr. Trout, das ist Michael Weyl a.k.a. Michael K. Trout.
Er war neben Tilla Pe ein Geist des Spürsinn Versand. In der Zeit bis heute hat Spürsinn seine Geschäftstätigkeit eingestellt.
Ende 2014 konnte ich mir ein eigenes Atelier mit angeschlossener Dunkelkammer einrichten. Was ich damals mit der Serie ‚Schleierhaft‘ bezeichnet habe entzieht sich heute meiner Kenntnis.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.