Die Alltagsmaske – Update

Dass es bei der ‚Lockerung‘ der Kontaktbeschränkungen auch um die Frage des verpflichtenden Tragens einer Nase-Mund-Maske gehen wird, war mir schon irgendwie klar. Dass es dazu nicht kommen kann auch. Denn wenn es schon unter Anstrengung nicht gelingt, das Plegekräfte, Ärzte, Verkäufer ausreichend versorgt sind, wie will man dann die restliche Nation dazu verdonnern, eine entsprechende Maske zu tragen.

Man erinnert sich an die gute alte DDR, Bastelanleitungen und Influencer im Homeoffice: Fetzige Youtube-Videos mit kühlen Bauplänen für krasse Nase-Mund-Masken. Da das Kind einen Namen bekommen muss und in Sachen Schutz die selbstgehäkelten Dinger eher fragwürdig sind, schafft irgendein Genie den Begriff ‚Alltagsmaske‘. Mir schießt sofort Stalins Badezimmer in den Kopf.

Und so taucht das Neuwort gestern zuhauf auf, die Alltagsmaske im Paarlauf mit der Maskenpflicht. Ich hatte ja gehofft, dass mir gestern Abend die Mutti oder der bayrische Landesfürst erklärt, was eine Alltagsmaske denn nun ist und vor allem wie das ständig vor dem Rüssel getragen wen wie schützen soll? Stattdessen bekomme ich die klare Ansage, dass die guten hilfreichen Masken, die der Bund und die Länder dem Markt entziehen, für die vielen Noch-Helden des Alltags sind. Ich, der vor fast einem halben Jahrhundert auch als Junge Nadelarbeit hatte, der sich gerade noch an den Kreuzstich erinnern kann, soll mir eine Maske selber basteln. Kleben. Stricken. Falten. Oder Ertanzen.

OK, meine Erinnerung an die Zivilverteidigung, dem niveaulosen Bau der eigenen Atemschutzmaske, blende ich wegen Wiederholungsgefahr mal aus. Wenn es jemals zuvor eine ‚Alltagsmaske‘ gab, dann war es maximal eine modische Nutzlosigkeit und mit dem Vermummungsverbot spätestens verboten!

Mutti und Markus sind noch nicht einmal fertig mit reden, da befrage ich das Google-Orakel nach Alltagsmasken. Zwei Shops, der Rest ist eine reine mediale Verbalschlacht um das selbstgemachte Etwas vor der eigenen Fresse. Die roten, weiß gepunkteten Falt-Alltagsmasken bei hofius sollen mich zehn Euronen kosten, ab 100 Euro Warenwert werde ich versandkostenfrei beliefert. Das erinnert mich an die nur ‚kleine Servicegebühr‘ für eine ‚gratis Zugabe‘ im Genius TV-Shop: 19,95 Euro! Der Stulle Berlin-Shop bietet seine Alltagsmasken für stolze 18 Euro an. Doch die Dinger kaufe ich nicht. Sie sehen aus wie ein umgenähtes Badeoberteil. Ich möchte nicht wissen, welche Möpse dadrinnen rumgehangen haben.

Man darf mich nicht falsch verstehen: In Läden und den Öffentlichen bin ich für das Tragen eines Mundschutzes. Es gibt Zeitgenossen, die haben leider keine gute Kinderstube genossen und ich darf sie für ihr unhygienisches Gesamtverhalten nicht kräftig auf den Hinterkopf schlagen. Österreich hat es vorgemacht, nur mit einer Ausnahme: Die Masken müssen dem Bürger gestellt werden. Und es geschah das, was geschehen musste. Wegen fehlender Masken lässt sich die Maskenpflicht anfangs nicht wie gewünscht umsetzen. Das darf bei uns in Deutscheland nicht vorkommen, wäre es doch ein Eingeständnis von Fehlbarkeit und Schwäche. Deutschland empfiehlt seinen Bürgern eine Art Maske zum Beispiel aus ausrangierten Bade-BH’s, dringend. Die einfache Nase-Mund-Maske liefern kann es nicht.

Schade, dass sich angesichts des aktuellen (globalen) Desasters die Einsicht zum Bekenntnis der eigenen Fehlbarkeit nicht durchsetzen will. Wissenschaft schiebt auf Politik und die zeigt auf die Wissenschaft. Elitäre Eitelkeiten werden medial ausgetobt und jeder weiss in Zeiten einer großen Ahnungslosigkeit. Jedem sein Helden-Cape, es gibt ja bald Posten zu verteilen. Gott sei Dank gibt es genügend andere, denen die Schuld zugewiesen werden kann. Später, wenn alles vorbei ist, machen wir alles anders. Statt stinkende Autos bauen wir Masken für die nächste Pandemie. Oder auch nicht. Demut? Was soll diese Gefühlsduselei! Mal darüber nachdenken, was die Natur uns damit sagen will? Quatsch, wir müssen dringlichst zurück zur Normalität und am besten die ’schwere‘ Zeit so schnell wie möglich wieder vergessen.

Berlin hat schon längst mit seinen Füssen abgestimmt. Draußen wird es jeden Tag lauter, die Autos und LKW’s brettern wieder die Landsberger entlang. Auch in der Nacht. Die Ruhe ist verflogen. Um mich herum häufen sich die Krisen, Depressionen und elendige Langeweile. Irgendwie erinnert mich der aktuelle Zustand an meine Zeit während der Chemo: Ich sehe tagtäglich zu, dass ich gut und abgelenkt über den Tag komme. Was anderes kann ich nicht tun. Manche Dinge lassen sich eben nicht ändern.

UPDATE
Es gibt die Ausnahme in den Jubelmedien ‚Pro Maskenpflicht – egal wie‘, siehe dieser harmlose Beitrag bei ntv online. Bleibt die Frage, ob Eigenbau-Alltagsmasken (was auch immer eine Alltagsmaske ist) nach dem Bastel Wastel-Schnittbogen und der stündlichen Entkeimung a la Jean Pütz im 80°C warmen Backofen der Weisheit letzter Schluss ist. Ich bin für’s Maske tragen in Menschenanhäufungen, zum Beispiel im Laden, in den Öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Besucherverkehr, doch bitte nicht auf diese dilettantische Weise. Hier geht es nicht um ein modisches Accessoire, es geht um den Schutz des Menschen! Allein schon das Niesen und Husten in die Armbeuge oder Türe öffnen mit dem Ellenbogen waren schon so atypische Rettungsversuche abseits der Physiognomie des Menschen. Außerdem: Für Dilettantismus ist allein der Lichtbildprophet a.k.a. Ronaldo Capybara verantwortlich. Denn er hat ihn erfunden!

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.