NegaPos

Auf meiner ToDo-Liste steht schon seit einiger Zeit:

Mit der Linhof auf ORWO 9×12 Fotopapier fotografieren

Das ist keine überragende Idee. Vor dem Glas und Zelluloid war lichtempfindliches Papier das Negativmedium. Nur habe ich noch einiges an 9 x 12 cm ORWO Fotopapier herumliegen, das ja irgendwie und irgendwann verbraucht werden will. Am Lichtbildpoet-Projekt arbeite ich derzeit nicht und es ist auch nicht abzusehen, ob ich mich dafür noch einmal begeistern kann. Außerdem: Gegenüber neuem Fotopapier ist das uralte ORWO Fotopapier wunderbar langsam. Da bin ich bei Bewegungsunschärfe angekommen, lege ich den fotografischen Fokus auf das Menschenbildnis.

Der erste Versuch eines Selbstbildnis scheitert. Das Licht und die Belichtungszeit sind deutlich zu gering. Während ich versuche die Kassette nachzuladen, klingt das Modell. Ich verzichte darauf mich für den nächsten Versuch wieder zu drapieren. Das darf jetzt jemand tun, der viel besser als ich aussieht. Mehr Licht, mehr Belichtungszeit und etwas Bewegung. Im Lith-Entwickler und nach ein paar bangen Minuten Wartezeit entsteht mein ‚NegaPos‚. Es bedarf einiger invertierender Blicke um zu erkennen, dass da ein barfüßig weiblich Mensch steht. Das Ergebnis sieht nicht wie ein ’normales‘ Negativ aus. Die Art und Weise der knappen Negativbelichtung, kombiniert mit dem harten Lith print, ist in meinen fotodepressionistischen Augen ein verfolgenswertes Stilmittel. Nur ärgert mich das Querformat als Vorzugsorientierung der Linhof Kardan Color 9×12.

Nach dem Shooting und entwickeln der Filme trolle ich mich zurück in den Betonpalast. Dieses NegaPos – Negativ auf Positiv – hat schon was. Nur ist mir 9 x 12 cm Abzugsgröße einfach zu klein. Innerlich weigere ich mich den Scanner zu benutzen und mit vergrößerten Digitalkopien zu arbeiten. Es muss schon fotodepressionismus-like mindestens 13 x 18 cm sein. Da würde es mich auch nicht stören, mein geliebtes überlagertes ORWO Fotopapier gegen irgendetwas Modernes von Foma auszutauschen. Während mich die Klotze berieseln darf, schaue ich mich in der Bucht nach einer Lösung um. Großformatkameras mit 13 x 18 und mehr Zentimeter Bildfläche gehen ins Geld. Teilweise sind auch die Anbieter unverschämt. Ohne Objektiv und Kassetten wollen die Gesellen ein paar Hundert Euro haben. Das ist mir zu viel. Gefühlt kann da ein Tausender draufgehen. Dann verzichte ich lieber.

Ich ändere die Suchphrase. Die ‚Holzkamera‘ fördert ein verlockendes Angebot für drei Hunnies zutage. Selbst der Scharfsteller ist mit dabei, denn ich wohl nie brauchen werden. Diese Kamera würde ganz gut zu meinem alten Holzstativ passen, welches ich mit einem Teil meiner Ateliereinrichtung ‚geerbt‘ habe. Ich gönne mir ein paar Minuten Bedenkzeit. Wie es sich für so ein Modell gehört, nimmt sie im Portraitformat auf. Die Kamera war für wet plates im Einsatz, was mich daran erinnert, selbst Glasscheiben mit flüssiger Fotoemulsion beschichten zu wollen. Es gibt keine Frage, ich muss zugreifen, bevor jemand anderes den Schnapper entdeckt.

Ich google den Begriff ’negapos‘ und zu meiner Überraschung liefert er Treffer. Es gibt eine Negativ-Positiv-Arbeit mit dem Namen, aus Japan. Mindestens zwei Dumme ein Gedanke. Mittlerweile ist auch die Holzkamera eingetroffen. Schon kreisen Gedanken in meinem Kopf mit Objektiven zu spielen, lange Zeiten zu belichten, während sich ein Modell in slow motion bewegt. Wenn ich das Negativ auf ein Positiv fotografiere, dann soll das Ergebnis eine Ergänzung zu den Unschärfen und Verläufen meines Neo-Piktorialismus sein. Ich bin kein Fotograf, ich bin ein Lichtbildmaler, nur ohne die typischen Malwerkzeuge. Der Gedanke gefällt. Mir!

Im TV läuft etwas über Baselitz. Der Meister hat eines Tages seine Portraits auf den Kopf gestellt. Das fotografisch zu kopieren wäre plump und wenig kreativ. Das Vermischen mehrerer Techniken einschließlich mit dem Kopfstand zu arbeiten klingt schon wieder genial. Ich muss etwas probieren und bin sofort auf dem Sprung ins Atelier. Mehrfachbelichtung, Teilbelichtung, auf den Kopfstellen und alte Lichtpause: Man muss hinschauen, Dinge wie Details zu erkennen. Ich liebe es, diese Freiheit in meinem Tun zu haben.

Warum auch immer fällt mir in dem Augenblick Bernd H. Daub ein. Na klar, es ist sein Buch ‚Gute Fotos – simple Technik‘, das ich mal rezensiert habe. Im Ersten Moment war er ein Kulturschock für mich, obwohl ich mich schon auf analogen Abwegen befand. Doch die innere Weltbild-Zerstörung fand für mich erst mit der Krebsdiagnose und in der Rückkehrphase nach der Chemotherapie statt. Ich sah Daub damals schon positiv, bewußtseinserweiternd, würde ihn und sein Buch neben dem großartigen Miroslav Tichy als absolut prägend für mich bezeichnen. Und so macht es mir eine riesige Freude sein ‚Auf ein Wort …‚ zu lesen. Ich stelle mir die Frage: Ist gutes Fotografieren erlernbar? Ich sage nein, denn dazu muss man seine Welt erst einmal entdecken und hinreichend betrachten können. Wenn das gelingt, dann möchte man nicht mehr fotografieren. Dann geht es darum mit Licht Bilder zu malen. Egal wie, nur ohne die typischen Malwerkzeuge.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.