Im Jahr Neun

Ende 2015 bemerkte ich beim Griff an meinem Hals, dass da in mir drin etwas angeschwollen ist. Rechte Halsseite etwas mehr und links kaum spürbar. Nach dem Ende der Feiertage zum Weihnachtsfest und zum Jahreswechsel begann eine Odyssee durch Arztpraxen, Durchleuchtungseinrichtungen und Operationssäle. Anfang April 2016 stand fest, dass sich ein Hodgkinlymphom in mir breit macht. Es hat Stadium 3 erreicht, was zu einer Verschärfung der Chemotherapie führt. Anfang Mai beginnt die Chemotherapie und sie wird bis in den Oktober 2016 gehen. Es sind sechs Zyklen, BEACOPP eskaliert nennt sich der Freudenspender. Das Prozedere schlaucht und mit jedem weiteren Zyklus fällt es dem Körper schwerer, damit klarzukommen. Im November folgt ein PET/CT, in dem keine aktiven Krebszellen mehr nachgewiesen werden können.

2017 brauche ich ein Vierteljahr, inklusive Wiedereingliederung nach Hamburger Modell, und ich stehe mit beiden Beinen wieder im Berufsleben. Auf eine Reha oder das Schnacken im Kreise ähnlich Betroffener im Selbsthilfekreis verzichte ich. Ich habe genug mit mir selbst zu tun.

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Ein Leben in Halbwahrheiten – Ein fotografisches Traktat

oder: Unsere moderne Überheblichkeit ist die Ursache allem Halbwissen

Seit meinem dritten Geburt-Tag befinde ich mich auf Orientierungskurs. Das ist nun über 19 Monate her. Optimistisch gesehen kann ich nicht klagen. Es sind Fortschritte da, kleine Fortschritte. Doch es bleiben die Bombertrichter, die trotz des darüber wachsenden Grases unpassend die Landschaft dominieren. Es hat so etwas von Hobbitland. Vielleicht sollte ich mir einen Hügel reservieren und darin meine Höhle integrieren. Meine eigene Höhle, ganz für mich allein. Denn es wird eine Schlafhöhle mit nur einem Fenster. Viel zu klein, dass da jemand sich reinstehlen kann.

Kaum sichtbar, dafür umso schmerzhafter, sind die Einschusslöcher. Letztlich führen sie zum Sprung, zum Riss in der Seele. Wohl der beste Kitt ist nicht gut genug, den Bruch so zu füllen, dass keine Narbe bleibt. Jeden Tag werde ich daran erinnert. Das Gesicht eincremen um die Narbe ‚Hautirritation‘ zu versorgen führt zwangsläufig die Hand am Hals vorbei. Jeden Tag wieder, jeden Tag auf’s neue. Ist da was, ist da nichts zu spüren? Oder ist da wieder was, auf der anderen Halsseite auch?

Wie soll ich mich bei diesen Gedanken auf anderes, Angenehmes, fokussieren können?

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