Menschen in der Großstadt – Ein neuer Anlauf

Ich befrage das Datenorakel: Wie sehen andere ‚Fotografen‘ Menschen in einer Großstadt. Google spuckt in der Bildersuche Standardsoße mit Photoshoparoma aus, die Dynamik emulieren soll.

Menschen in der Großstadt werden von einer unsichtbaren Kraftmacht getrieben. Alles ist in Bewegung. Fast alles ist in Bewegung. Nur die Touristen schleichen sich, stehen dem getriebenen Großstadthektiker immer im Weg. Für meine Serie ‚Menschen in der Großstadt‚ sehe ich mich auch als Fotograf in Bewegung. Was ich mit der Kamera einfange, ist unscharf. Muss unscharf sein. Bestmöglich ist alles nur schemenhaft zu erkennen. Reizstoff für die eigene Fantasie. Ja, so wollte ich diese Serie anlegen. Die Kamera ist eine Nikon F70 mit aufgeschnalltem B.I.G. Holga HL-Objektiv.

Der Fotoserie gebe ich im Sommer den Vorzug. Menschen, weibliche Menschen und ihre Ausstrahlung. Ich bin halt Mann.

Nur einmal ziehe ich am Neujahrsmorgen los und lichte aus der Hüfte die Überbleibsel einer Nacht ab. Die Kamera soll nicht zielorientiert das Motiv erfassen. Ja, die Goldenen Regeln der Lomografie stehen Pate, auch wenn ich versuche die Belichtungszeit und meine Bewegung so zu synchronisieren, dass nichts Scharfes im Negativ zu sehen ist. Beim Ausbelichten auf Papier vergrößere ich auf kleine (weite) Details, die das fertige Lichtbild schön körnig werden lässt. Selbst ein paar Farbaufnahmen entstehen. Ich müsste aber erst nachsehen, bevor ich mehr zu diesem Exkurs etwas sage.

Zwangspause

Mir fällt eine Lomo LCA in die Hand. Die Echte, nicht das chinesische Billigprodukt einer elitären Wiener Gesellschaft. In mir reift der Gedanke, die Nikon mit Holga HL-Objektiv von weiteren Aufnahmen der Art ‚Menschen in der Großstadt‘ zu entbinden und stattdessen den Urvater der Lomografie einzusetzen.

Es dauert allerdings bis 2018.

Mich stört die Schieflage der Kamera bei meinen Hüftschüssen. Die Lomo LCA ist keine Kamera für den Zivilisationsvoyeur, eben nicht für Fotos aus der Hüfte gemacht. Auch wenn ich die eine gerahmte Arbeit nie zu sehen bekommen, weil gleich verkauft und der zweite Abzug an meinen ‚Gandalf den Weißen‘ ging, mich wurmt mein Verziehen. Fast schon trotzig kopiere ich eine eigene Idee, diesmal pimpe ich hierfür einen Vintage-Kaufrahmen. Irgendwie ist alles gebraucht, überalter used look oder shabby chic halt. So wie ich eben.

In diesem Jahr möchte ich weitermachen mit dem Thema.

Alles auf Neu.

Der gemeinsame Besuch auf einem Trödelmarkt und ich hole ‚heimlich‘ die Lomo LCA aus der Tasche. Ich belichte den Rollei Retro 80s als ISO 50, verbunden mit der Hoffnung auf Unschärfe. Die Enttäuschung ist groß. Meinen ersten Versuch im vorherigen Jahr hatte ich manuell belichtet. Entsprechend schwach konnte das Negativ sein. Dem wollte ich mit mehr Bequemlichkeit entgehen. Der schnelleren Aufnahmen wegen. Diesmal durfte also die Automatik ran und die arbeitet natürlich für den perfekten Bequemfotografen. Wenn da das Licht eben knapp ist, dann wird die Blende gnadenlos aufgerissen.

Aus Verzweiflung bestücke ich die Nikon wieder mit dem B.I.G. Holga HL-Objektiv und möchte damit ‚gut‚ fotografieren. Das Unterfangen ist unglaublich blöd von mir, da man selbst bei Klimakatastrophen-Sonnenschein durch das Effektobjektiv nichts sieht.

Eigentlich habe ich keine Lust, werfe dennoch einen Rollei Ortho 25 in die Lomo LCA. Sonne und Wolken am Himmel, die Kombi muss für Unschärfe stehen, die für die Hektik der Großstadt steht.

Warum auch immer lasse ich mich vom Strom der Menschen auf der Frankfurter Allee treiben.

Es ist Samstag.

Die Hektik gilt wohl den Wochenendeinkäufen oder dem Frustshoppen nach einer anstrengenden Arbeitswoche. Irgendwie läuft es und ich habe Spaß an dem Treiben: Da ist die Mutter mit dem Kinderwagen, die jedes leihbare E-Bike nach dem Ladezustand prüft. Es wird gewartet, an der Ampel, vor dem Shoppingcenter und im Cafe. Ich ziehe mit meiner Kamera vorbei.

Diesmal achte ich darauf, dass alles etwas gerader scheint. Nach nicht einmal einer Stunde ist der Film voll. Auf zur Tram und ab ins Atelier, den Film entwickelt. Und diesmal sieht es – für mein Gusto besser aus … ich muss mich eben nur von der Hektik der anderen treiben lassen und in guten Moment auslösen.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.