Kleine Farbbomben

Über Amazons priorisieren von Warensendungen habe ich mich ja bereits genügend ausgekotzt: Dringend benötigte Boxershots kommen in einem Monat, fünf Flaschen Allzweckreiniger am nächsten Tag. Ja, selbst mein Lieblingszeitvertreib im Corona-Hausarrest 1-2-3.TV und Christian Giese ist an jeder Ecke antibakteriell, weshalb Silikon wahnsinnig knapp wird und die Weiber sich ihre Hupen nicht mehr aufpolstern lassen können. Der aktuelle Wahnsinn kennt keine Grenzen. Damit auch ja die Spannung und Angst erhalten bleibt, wird jeder Funke Hoffnung medial stranguliert. Und so sitze ich nun ohne Unterwäsche im Atelier und kann mit bunten Holi-Pulver rumpudern, weil das nach Amazon-Priorität am nächsten Tag geliefert wird.

Eigentlich war ich auf der Suche nach Farbpigmenten. Wieso, weshalb, warum kann ich nicht sagen. Da tauchte in der Amazon-Suche das Holi-Pulver immer wieder auf. Aber ich wollte das nicht haben. In der Produktbeschreibung steht, dass es sich bei dem angebotenen Holi (Gulal)-Pulver um Maismehl und Lebensmittelfarbe handelt. Lebensmittelfarbe und Pigmentfarbe sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Dann sehe ich die Preise für Farbpigmente, die bereits thematisierten Lieferzeiten und entscheide mich für ein Miniset Farbpigmente und ein acht Farbensortiment Holi-Pulver. Es ist egal, wie ich meine Zeit im Atelier totschlage. Hauptsache endlich etwas bunt und kreativ.

Bis zum nächsten Tag befrage ich das Internet nach ‚Malen mit Holi Pulver‘. Immerhin sagt der Anbieter, dass man das mit seinem Pulver wunderbar toll machen kann. Das Wie bleibt er mir schuldig. Mir will das nur noch nicht so richtig in den Kopf. Wenn Maismehl Bestandteil des Holi-Pulver ist, dann kleistert das bei Wasserkontakt ganz schön rum. Es müsste eine riesige Sauerei entstehen. Wie will man damit Malen?

Holi-Pulver und Fotoshooting, dazu gibt es jede Menge im Netz zu sehen. Dafür möchte ich keinen Film verschiessen, zumal er sowieso Schwarzweiß wäre. Außerdem, wie sähe das Atelier danach aus? Mit Holi-Pulver malen will die Datenkrake nicht so richtig etwas ausspucken. Doch, es gibt ein drei Jahre altes Video. Darin wird das bunte Pulver zur Blume auf eine wenig dekorative Tischplatte gekippt und das war’s. Was ich aus der hoch dotierten Influencerszene zu lesen bekomme ist auch nur das, was ein Anbieter zum Besten gibt. Das ist nicht Malen, das ist lieblos hingekippt. Das Bild müsste immer so liegen bleiben, kann nicht an die Wand gehangen werden. Irgendwie muss das aufgetragene Holi-Pulver auf dem Bildträger möglichst dauerhaft fixiert werden.

Ich suche nach ‚Pulver malen‘ und ‚Sandbilder‘. Untergrund mit Bastelkleber bestreichen und Pulver auftragen wäre eine Variante. Doch ob es mit der Kombination Maismehl funktioniert? Mein erster Gedanke ist eine Schicht Gelatine aufzutragen und darauf das Holi-Pulver zu bringen. Aber Gelatine zieht zu schnell an, müßte außerdem gehärtet werden. Da fällt mir ein, dass ich kürzlich Zellleim geholt habe. Den angerührt und mit einem Spritzer Latex-Bindemittel versetzt, das sollte eine stabile Trägerschicht ergeben.

Beim Lesen der Inhaltsstoffe fällt mir auf, dass das Holi-Pulver zu 99% aus Maisstärke (corn starch) und 1% Lebensmittelfarbe besteht. Also nix Maismehl, was nicht ganz unwichtig ist. Mehl enthält neben Stärke auch noch Kleber, weshalb sich daraus auch ein vegan-biologisch-alternativer Kleister machen lässt. So ergibt die im Wasser nur schwer lösliche Maisstärke quasi ein Farbpigment aus Lebensmittelfarbe. Versuch macht klug: Für einen ersten Test trage ich auf einem Bogen Mixed Media-Papier eine gute Schicht Zellleim auf. Noch während die Schicht feucht ist, lasse ich von einem Spatel ‚Pulvertropfen‘ auf das Papier fallen. Danach kleckse ich noch etwas weiße Farbe drauf um zu sehen, wie die Farbe bis zum Endtrocken verläuft.

Ist der Bogen durchgetrocknet, entferne ich lose Reste des Holi-Pulvers. Um das Auftragen der schützenden Schlussschicht zu simulieren, nehme ich noch einmal den gepushten Zellleim zur Hand und trage zügig eine weitere Schicht auf. Ist loses Holi-Pulver sorgfältig entfernt, treten kaum Farbverläufe in der Deckschicht auf. Das Testblatt gibt in meinem Instagram-Account zu sehen. Ich glaube nicht, dass die ‚Pulvertropfen‘ als einzelnes Gestaltungselement mehrere Bilder von mir füllen werden. Ich sehe Kombinationen aus Struktur, klecksen und diese kleinen Farbbomben.

Und irgendwie erinnert mich dieses bescheuerte penetrant bunte Holi-Pulver an meine Kindheit und die Malerwerkstatt im Innenhof, in der die großen Werbeplakate an der Hausfront des Kino Toni entstanden. Denn neben Farbtöpfen gab es dort Gefäße mit Pigmentpulver, aus denen erst malbare Farben gemacht werden mussten. Der Gedanke stimmt mich etwas versöhnlich. Ich bin irgendwie schon froh keine neuen Boxershorts zu haben, dafür über einen Umweg an eine Sache wie die Malerwerkstatt erinnert zu werden, die mich heute beim Malen im Inneren leitet, auch wenn das Drumherum der Kindheit einfach Scheiße war. Danke Amazon für deine Priorisierung der unverständlichen Art.

Ein Zufall ohne Namen entsteht

Youtube macht es möglich, das Halbwissende dem Ahnungslosen etwas beibringen (wollen).
Die Sprachklopse beginnen beim Urknall, macht total Sinn, um in einer üblen Weisheit zu enden.

Macht das Spaß auf diese Weise etwas zu lernen?

Alles was ich zum Abstrakten Malen gesehen habe, was mir zum Lesen angeboten wurde, ist Turbomalerei a la Boss Ross. Am Ende steht irgendein Kitsch, denn ich nicht für mich und den Betrachter erklären muss.
Ich bin Dilettant! Das soll keine Selbstkritik oder eine Beleidigung Mobbing gegen mich selbst sein. Was ich tue, sei es als ‚Fotograf‘ oder ‚Maler‘ tue ich für meine eigene Erbauung, für mein Vergnügen und aus purer Liebhaberei. Und trotzdem gehe ich mit einem gewissen Ernst und Zielstrebigkeit ans Werk. Statt Alkohol, Drogen und anderer sozialer Gleitmittel suche ich meine Erfüllung in einem befriedigendem Ergebnis.

Genug der Vorrede und Nutzlos-Einleitung. So wie nachfolgend gezeigt entsteht ein aleatorisches Malbild*. Angefangen bei recht groben Malzügen steigern sich zum Ende hin die Details in der Arbeit. Leider lässt sich das mit Fotos der Gesamtarbeit nicht zeigen. Man muss die Bilder ‚in echt‘ und voller Schönheit vor Ort sehen:

Zuerst ‚grundiere‘ ich den Bildträger. Hierfür trage ich partiell unterschiedliche Farben auf (hier schwarz, grau und weiß) und verteile sie mit einem Silikonschaber. Die farbigen Flecken ergeben sich aus der vorherigen Funktion der Platte: Sie war die Unterlage für andere Klecksereien.

Spanplatte grundieren

„Ein Zufall ohne Namen entsteht“ weiterlesen

Unfall – Eine Theorie zum Zufall

Gestatten Unfall. Und ich mache Unfälle. Alles kam einfach so, ohne dass ich jemals gefragt wurde oder mich jemand dazu anstiften musste. Mein Vater schwängerte die Frau die mich geboren hat, weshalb sie, die Frau, ihn – damals war es so üblich – heiraten musste. Für sie, die Frau die mich geboren hat, war ich nun der Unfall. Das ist die perfekte Mischung für eine gestrenge Hiebe-statt-Liebe-Erziehung. Jahre später darauf angesprochen kann sie sich an keine ihrer Grausamkeiten erinnern. Das würde ich wohl auch nicht tun wollen. Folglich konnte ich ihre Beteuerung, dass sie mich liebt, nie wirklich glauben. Mein Bruder, ein paar Jahre später mit demselben Mann gezeugt, hatte da etwas mehr Glück. So bleibt es mir vorbehalten in einer Zeit der Berufsopfer auch ein Opfer sein zu dürfen.

Lebt sie, die Frau die mich geboren hat, eigentlich noch?

Die meisten Künstler sind sich egal welcher Stilrichtung zugewandt einig, dass Kunst Leben nachahmt. Der aleatorische Künstler nimmt den Gedanken einfach wörtlich und schlussfolgert, dass wenn Kunst das Leben imitiert, der Prozess des Kunstmachens den Prozess des Lebensmachens nachahmen muss. Wenn dem so ist, dann muss die Kunst von einem Ort kommen, der den Ort nachahmt, von dem das Leben kommt. Damit stellt sich die Frage: Woher kommt das Leben?

„Unfall – Eine Theorie zum Zufall“ weiterlesen

Mehr als Zufall

Mit meinen Klecksereien möchte ich nicht per rein zeitlichen Zufall ein Sujet festhalten. Für diese Technik ist die Kamera viel besser geeignet. Des Weiteren ist mein Mal- und Zeichenstil so stümperhaft, dass das Ergebnis einfach nur schlecht wäre. Ich möchte, dass der Zufall gutschlecht mein Bild malt. Demnach lässt sich theoretisch auch nicht vorhersagen, wie die fertige Arbeit aussieht. Praktisch habe ich eine Vorstellung, wie ich ein Bild gestalten möchte. Doch das Ende hat mit dem gedachten Ursprung nie etwas zu tun.

Im aleatoric painting geht es eben zu wie im realen Leben: Der Zufall entscheidet! Der Zufall macht das Bild einzigartig, weil es sich nicht vorherberechnen lässt. Mit Zufall lässt sich aber auch meine Ideen- und Hilfslosigkeit überspielen.

Wie male ich zufällig?
Zufall als bildgebendes Element hat schon immer eine Rolle in der Malerei gespielt. Zufall ist die Aufforderung an den Betrachter, sich mit seiner eigenen Fantasie ein Bild zu machen. Zufall im Sinne des aleatoric painting bedeutet auch, dass das aktive Handeln ein Bild entsteht. Des Weiteren definiere ich für mich: Eine fertige Arbeit kann als das Aufschichten verschiedener Maltechniken verstanden werden. Hin und wieder greife ich auch auf Collagen und strukturgebende Materialien zurück.

Malen und Spachteln
Der Name sagt es eigentlich. Neben dem klassischen Pinsel und Spachtel benutze ich alles, was sich zum Verteilen und oberflächlich Strukturieren lässt. Mein ‚Lieblingswerkzeug‘ ist der Schaumstoffroller, wobei auf die Rolle Farbe auch in Punkten und Streifen aufgetragen werden kann. Was man nicht glauben mag: Trotz aller ‚Zufallstechnik‘ steckt viel Arbeit mit dem Pinsel in meinen Arbeiten. Ich lege Wert auf punktuelle Akzente wie auch eine gewisse Plastizität durch gemalte Spitzlichter oder Schatten.

Struktur abreiben
Eine strukturierte Oberfläche wird mit einem Bogen Papier abgedeckt und mit einem Stift ‚abgerieben‘ (siehe Max Ernst). Wie ich finde ist diese Technik eine gute Basis für den ‚Hintergrund‘ einer Art.

Tropfenlassen
Aus einem sich bewegenden Gefäß tropft Farbe auf den Bildträger (siehe Jackson Pollock). Bildträger, damit meine ich die Leinwand, Holzplatten oder was auch immer Farbe tragen kann. Genauso gut lässt sich ein Pinsel satt in Farbe tränken und bewegt über den Bildträger wieder abtropfen. Pollock’s Idee ist vielfältig abwandelbar.

Abklatschen
Farbe oder Farben werden zufällig, am besten punktförmig auf einen Bogen aufgetragen, der dann auf den Bildträger gelegt wird. Dieser Vorgang kann mehrfach wiederholt werden, wobei nicht jedesmal die Farbe erneuert werden muss.

Spritzen
Farbe wird irgendwie auf den Bildträger geschleudert. Ich schnipse mit gefüllten Pipetten, flexiblen Spachteln, HNO-Löffel oder was auch immer. Jedes Teil erzeugt sein eigenes Streumuster.

Laufenlassen
Farbe dick als Strich oder nur punktuell auftragen und durch die Schieflage verlaufen lassen. Dabei kann der Bildträger selbst auch schief gestellt werden. Schräge Verläufe bringen etwas ‚Dynamik‘ ins Bild. Ich mag es den Fliesseffekt so einzusetzen, dass in der fertigen Arbeit die Verläufe gegen die Erdanziehung zu sehen sind.

Abrollen
Kugeln, sei es aus Vollmaterial, Schaumstoff oder Rattan-Gebinde mit Farbe beschichten und anschließend über den Bildträger rollen. Praktisch lassen sich auch Papprollen in Linien, Punkte oder großflächig mit Farbe versehen und dann damit auf dem Bildträger abrollen.

Und was gibt es sonst noch zu erwähnen?
Ich nehme mir Zeit! Ein Bild trocknen lassen und tagelang nicht anzusehen wirkt Wunder. Schwierig ist es den Punkt zu finden, wann es fertig ist. Ich versuche mich nie von der ersten Euphorie blenden zu lassen. Die ‚Schönheit‘ meiner aleatorischen Klecksereien will erst entdeckt werden. An einem eye catcher verliere ich schnell die Freude. Die Arbeit darf nicht zu verkopft werden. Was zu sehen ist, ergibt sich immer erst ganz am Ende. Schalte dafür den Erwachsenen in dir ab, fühle und handle wie ein Kind.