Es geht immer noch den Tick …

Ich habe wohl zu lange die alten fotografischen Schinken gelesen. Aber sie geben mir Antworten, die gute Geister wie Edwin Mutter oder moderne Autoren wie Jost Marchesi nicht geben können. Ich nenne es die ‚Moderne Arroganz‘, den Pyramiden-Effekt: Ist der Mensch aus technologischer Sicht der Meinung, dass eine Technik überholt ist, dann steinigt er das ‚alte‘ Wissen und blendet es fortan komplett aus. Irgendwann hat man mal den Bau der Pyramiden als hinfällig betrachtet und das Wissen, wie diese Monumente entstanden sind, aus dem menschlichen Wissen komplett ausradiert. Ein paar Jahrhunderte später erklären wir die Ägypter für jene Deppen, die nur mit abertausenden armen geschlagenen Sklaven so etwas wie Pyramiden schaffen konnten. Dass die vergangene Zeit auch Techniken kannte, die den Bau riesiger Pyramiden weniger martialisch möglich machten, auf diese Idee kommt der eingebildete Neuzeitmensch nicht.

Lasst uns die Experimentelle Archäologie erfinden und so tun, als sind wir kleine blöde Ägypter, die die Pyramiden erfinden und bauen wollen! Oder waren es doch die Außerirdischen, die die Dinger in die Wüste gebeamt haben?

Beim Lesen der besagten Schinken fällt mir immer wieder auf, dass einige Phänomen nicht mit der ’normalen‘ Chemie und Physik erklärbar sind. Selbst heute sind einige Fragen der Fotografie mit Silberhalogenide nicht restlos gelöst, mutmaßt wie es sein könnte. Da aber dieses Wissensfeld der ‚Modernen Arroganz‘ und digitale Fotografie sei Dank nicht mehr benötigt wird, muss kein Gehirnschmalz in die Klärung gesteckt werden. Vergessen wir lieber, um in ein paar Jahrhunderten neu zu erfinden. Und so bleibt es wie es ist: Einige Vorgänge beruhen allein auf der Beobachtung, was in der Form an die gute alte Alchemie erinnert. Es lebe der Photoalchemist in mir! Das, was eigentlich als ein Seitenhieb auf die Überheblichkeit des modernen Menschen gedacht ist, bekommt ein paar Wochen später eine ganz andere Richtung. Ich lese von ‚Bürgerwissenschaften‚!

Im ersten Moment denke ich an einen sarkastischen Unterton, ist doch von den ’sogenannten‘ die Rede. Aber nein, die Bürgerwissenschaften sind Ernst gemeint. Jedenfalls wollen die, die sich dieser alternativen Wissensgewinnungsform angeschlossen haben Ernst genommen werden. Nach dem ‚Bachelor der Wikipedia‘ jetzt der ‚Doktor der Bürgerwissenschaften‘? Mich würde es nicht wundern, sind doch die elendigen Bastler von einst heute hippe Maker und der Bastelkeller ein Fablab. So etwas muss und soll es geben. Doch es besteht kein Grund die Anhäufung der Dilettanten in irgendeiner Form zu adeln. Was sie tun ist Frikelei auf Lego-Niveau und weit weg von einer Wissenschaft. Was die Bastler beherrschen ist Zusammenstecken nach Zahlen und ein bisschen copy & paste. Wirkliche Zusammenhänge und Abläufe kennen sie nicht einmal im Ansatz, kleine versteckte Mikrocontroller bestückt mit China-Know how übernehmen das Denken.

Heise, bekannt für die Wissensversorgung abgedrehter Nerds, beschreitet mit dem Make-Magazin den Weg des Okulten, Voodoo, ‚Wissenschaft‘ dem Hörensagen nach und absolut zum Nulltarif. Wenn sich diese ‚Maker‘ auf ihren ‚Maker Faires‘ treffen, dann tragen da bestimmt auch alle Hüte aus Alu-Folie. Ich muss mal wieder öfter bei Astro TV reinschauen. Sicherlich präsentiert Make dort bereits den esoterischen Arduino-Bausatz ‚Flitzestift 3000‘ und den Energieausgleich mit einem Raspberry. OK, allein das Heise über Fotografie philosophiert ist schon nicht leicht zu verdauen. Mit dem Fachblatt der Bürgerwissenschaften Make trifft man absolut ins Schwarze. Ich hätte da ein paar geile parawissenschaftliche Nonsens-Themenvorschläge: ‚Druck dir deine eigene Marsrakete‘ oder ‚Im Dunklen eine Wasserstoffbomben mit dem ATtiny44a gemaket‘.

Es geht wirklich immer noch den Tick dümmer.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.