Reset

Für Bildnachschub im weltberühmten Lichtbildprophet-Blog blättere ich durch fünf Jahre Flackerlight. Flackerlight und Dunkelkammer müsste es korrekt heißen. Mir fällt auf: Ab 2019 kommt es irgendwie zu einem Bruch in meinen Arbeiten. Gefühlt ist mir eine gewisse Leichtigkeit, kindliche Naivität und Unbekümmertheit abhanden gekommen. Kinder zeichnen und malen frei, können wahnsinnig gut abstrahieren und kommen nicht auf die Idee, eine gerade Linie mit dem Lineal zu ziehen. So Technikversessen sind nur Erwachsene. Da ich meine Arbeiten nur jahresweise erfasse, kann ich nicht sagen, ab welchem Monat es zu diesen Veränderungen kam. Was ich aus 2019 weiß: Ab Mitte September bereichert das Klecksen mein Œuvre. Der Bruch kommt vorher, wohl mit dem Vernunftbild.

Zugegeben, dieses ganze „neuartige Corona – COVID-19 – Virus“ ist schon eine nervige Sache, die mich nicht ganz kalt lässt. Mitte März wurde mein Büro ins Home Office verlegt und an dem Zustand wird sich nichts so schnell ändern. Ohnehin nicht reich an Kontakten, droht mir eine soziale wie auch kreative Verarmung. Dabei hat der geänderte Tagesablauf auch etwas Positives. Nach dem Abarbeiten der Nacht-Mails gehe ich für zwei bis drei Stunden ins Atelier und werkle ohne jeden Druck vor mich hin. Ich mache für den nächsten Tag einen Plan, den ich aber nicht einhalten muss. Es wird das gemacht, wonach mir der Sinn steht. Doch ich würde gerne mehr wollen, nicht alles lässt sich allein bewältigen.

Und so gibt es ein paar Dinge, die einfach unbefriedigend sind. Dieses Jahr gab es vier Anfragen zum Modellstehen, drei davon sind schneller verpufft als gedacht und das mit recht fadenscheinigen Argumenten. In der Regel beginnt ja jedes „Vorgespräch“ damit, dass die Interessentin sich total hässlich, fett und unfotogen findet. Die Damen haben mich noch nicht gesehen, es geht wirklich schlimmer. Nicht umsonst stehe ich hinter der Kamera und es gibt kaum Bilder von mir. Endlos lange Motivationsarbeit die dann in Sätzen mündet, dass „man wartet bis sich alles beruhigt hat“ oder „man für die nächsten Tage in einem Loch ist“.

Warum stehlt ihr mir meine Zeit? Könnt ihr euch nicht selbst beschäftigen? Ihr wollt und wollt, dann geht euch der Mut aus oder ihr habt urplötzlich keine Zeit. Diese Art des Verschwenden meiner Lebenszeit nervt. Dummerweise lässt sich im Vorfeld nicht erkennen, ob eine ernsthafte Absicht oder ein Aufmerksamkeitsdefizit dahinter steckt. Die Welt ist seit Corona noch bekloppter geworden. Was auch nicht anders zu erwarten war, ist der Urlaub und ein Frisörtermin Prio Nummer 1. Genauso wenig verstehe ich, was die Kohorten der Webpromoter an diesem Beitrag finden? Was da in Ausländisch an Müll abgeladen wird. Es ist sinnfrei und hat keinen Bezug zu meinem hochdekorierten Blog.

Wenn der Mensch ohne Gehirn und Verstand durch die Welt fegt, dann muss so etwas herauskommen. Und irgendwie scheine ich mich auch ohne beides durchs Atelier zu bewegen. Ich kann mich nicht an die Motivation erinnern, warum ich mir den Selbstbau-Vergrößerer aufgebaut habe. Zwei Gründe sind klar: Neugier sowie die Aussagen der Halbwissenden und Forengötter, dass das nicht geht oder man nicht macht. Es muss aber auch etwas in mir drin gewesen sein, das mich zusätzlich motivierte, eine 9 x 12 Plattenkamera in einem Vergrößerer umzubauen. Meine eigenen Blognotizen sind keine Hilfe, ist dieses Webtagebuch eher als Spielplatz eines Selbstdarstellers zu verstehen.

Ich entscheide mich zu einem Schritt zurück und baue den „DIY Darkroom Enlarger MakkerRony BIG“ wieder auf das Ausgangsformat 13 x 18 cm und Meopta-Grundgestell zurück. Der oder das Reset ist notwendig, um mich beim Belichten und entwickeln daran zu erinnern, was mir nach der Fertigstellung des Selbstbau-Vergrößerer wichtig an dem Gerät war. Ich muss es erst wieder lernen, was es war. Und wenn ich dabei bin: Irgendwann hatte ich für mich erkannt, dass ich mir Zeit lassen muss. Es wird also untemperiert bei Raumtemperatur gelithet und brav gewartet, bis das Bild kommt. Ungeduld war, auch wenn es mir schwer fällt es einzusehen, noch nie ein guter Ratgeber für mich, wenn ich mich für eine Richtung entschieden habe.

Es dauert ein paar Abzüge, bis ich mir bewusst werde, welch Potential in der abgewandelten Plattenkamera steckt. Also nicht so einfach Negativ einlegen, schön scharf stellen und Abzüge nach Stoppuhr gemacht. Nein, das Negativ muss mit Kreppband festgeklebt werden. Mit der Position und wie glatt es aufliegt bestimme ich Schärfe und Helligkeit. Durch das 13 x 18-Format statt der zuletzt verwendeten 18 x 24 cm werden die Abzüge kleiner und etwas farbiger. Ich komme wieder in meine damalige Gedanken und verstehe auch, warum ich dem Ergebnis den Stempel „Fotografischer Depressionismus“ gegeben habe: Nichts daran soll an euren langweiligen Fotorealismus erinnern.

Einen 1,5 fach-Vergrößerer für 9×12-Glasnegative selber bauen – Das Vorwort

Im Rahmen des Lichtbildpoet-Projekts sind mir auch ein paar Kleinbild- und Rollfilm-Negative in die Hand gefallen. Es liegt nahe, sie in den Vergrößerer zu stecken. Das tat ich, war aber nicht wirklich angetan davon. Viel interessanter finde ich es, Glasplatten-Negative zu vergrößern. Hier dominiert in meiner ‚Sammlung‘ das 9×12 cm-Format. Die Idee: In ‚Fach- und Sachgesprächen‘ betone ich zu gerne, dass eine klassische Optik immer in beide Richtung einer optischen Achse funktioniert. Das sorgt gelegentlich für Erstaunen oder ein ‚Stimmt nicht‘. Selbst der Verweis auf die sogenannte ‚Retrostellung‘ des Objektivs lässt die Skepsis nicht weichen. Diese Ablehnung aus dem Halbwissen heraus stört mich nicht. Im Gegenteil: Ich baue mir aus einer alten 9×12 Kamera einen Vergrößerer für Glasplatten desselben Formats.

Zwei Welten prallen aufeinander. Da sind die Möchtegern-Profi, zahlreich in den verbalen Muckibuden und Online-Pöbelzentren vertreten. Danach gibt es tausend Argumente gegen das Ansinnen. Nur daran versucht hat sich keiner der Maulhelden. Also schweigt lieber! Und da ist die Fach- und Sachliteratur aus vergangenen Jahrzehnten-Tagen, die sehr wohl von der Möglichkeit reden. Ich erinnere an Stapf, der offensichtlich kein Freund von Vergrößerungen, dafür aber von Kontaktkopien war. Und: Bei meinen Recherchen abseits des vorlauten Mainstreams fand ich sogar Hinweise auf Laufbodenkameras, die sich mit wenigen Handgriffen zum Vergrößerer umbauen ließen. Es gibt diesen Weg nicht nur rein theoretisch, es gab ihn auch schon ganz praktisch. Unsere Arroganz und Bequemlichkeit hat ihn uns vergessen lassen.

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