Warum sage ich eigentlich noch etwas?

Samstag. Ich werde gebeten gegen 9 Uhr 30 im Luxusappartement zu sein, um – hilfreich wie ich nun einmal bin – die Ausbeute eines Raubzuges durch eine Kaufland-Filiale in das Dachgeschoss des Betonpalastes zu tragen. Entsprechend früh bin ich für meine morgendliche Klecksorgie im Atelier, um ab 9 Uhr 15 auf der Wohnlandschaft liegend auf meinen Einsatz zu warten. Dank dem neuen iPad Pro wird mir auch nicht wirklich langweilig. Gegen 10 Uhr 23 mache ich mir dann doch Gedanken: Habe ich etwas falsch wahrgenommen, überhört oder vergessen? Es ist für mich kein Problem eines der Genannten oder alle drei Dinge auf einmal zu können. Irgendwann schellt das Telefon und ich werde vor die Eingangspforte beordert.

In den nächsten zwölf Stunden fällt kein Wort darüber, warum sich die Ankunftszeit um etwa eine Stunde verzögert hat. Anders formuliert: Ich habe sechzig Minuten gewartet ohne zu wissen wieso. Als ich das Thema sanft anschneide, wird mir schnippisch ins Wort gefallen: „Darauf habe ich nur gewartet, dass du das fragst …“. Ist es nicht schön so berechenbar zu sein? Das mir ins Wort gefallen wurde, daran habe ich mittlerweile gewöhnt. Die Kunst beherrsche ich mittlerweile auch. Wenn meine Rede unterbrochen wird, warte ich den Moment einer verbalen Ruhe ab und beginne wieder von vorn. Meine Beharrlichkeit erntet zumindest einen kurzen Blick der zweifelnder Würdigung.

Ein Fressfeind leiht sich meinen Bohrhammer aus, inklusive dem Luxus-Bohrerset. Fressfeind’s Perle, sie ist Raumausstatterin oder so, bohrt mit dem fünf Millimeter Betonbohrer offensichtlich ein Sieb in die Wand. Jedenfalls hat Bohrer so gelitten, dass ich mit ihm im sleeping room kein einziges Bohrloch zum Aufhängen eines meiner Meisterwerke in die Wand bekomme. Also packe ich das ganze Gerödel von Verlängerungsschnur bis Schraubendreher wieder ein und beauftrage Bezos Vasallen, mir neue Bohrer zu schicken. Auf den ausgeglühten Bohrer angesprochen, versichert mein Fressfeind von nichts zu wissen und erklärt mir gönnerhaft den nachgekauften Bohrer bezahlen zu wollen. Mir geht es nicht ums Bezahlen. Ich hätte lediglich bei Rückgabe gewusst, dass ausgerechnet mein Lieblingsbohrer den Hitzetod erlitten hat und Ersatz erforderlich ist, wenn ich zum Selbstbeweihräuchern meine Arbeiten um mein Kingsize-Bett hänge.

Neulich bat ich mir etwas, wenn möglich, zurückzubringen. Ich würde gerne an dem Material weiterarbeiten. Ich bekam zur Antwort, ob ich nicht noch weiter warten wolle. Wenn ich das gewollt hätte, käme nicht meine Frage, ob sich begehrtes Teil heim ins Atelier bringen ließe, wenn Platz dafür wäre. Der eigene Wunsch nur ein schöner Gedanke für den anderen.

Drei Szenarien und mein Kopf wird jedesmal zum Hohlraum. Ich weiss nicht, wo in der Zwischenzeit mein Gehirn hinwandert, ein Denkprozess ist nicht möglich. Eher läuft der interne Brenner auf Hochtouren und die Restfeuchte im Kopf verwandelt sich in Dampf. Alles ist fort und es fällt mir schwer überhaupt eine Antwort zu finden, sei es gedacht oder gesprochen. Ratlos, ausgebrannt wie der NurStein.

Ich leugne ja nicht ein gewisses Alter zu haben und vielleicht ist statt „Lichtbildprophet“ mittlerweile auch die Anrede „Euer Merkwürden“ angebracht. Ich möchte auch gleich mit der gern gemachten Aussage „Früher war alles besser“-Mähr brechen. Das ist Bullshit. Doch es sind so viele Dinge verschwunden. Bitte und Danke. Um Hilfe fragen, ohne sich vor Scham gleich als Versager zu fühlen. Eine Bitte äussern, vielleicht auch zwei- oder dreimal, nicht verschlüsselt oder blumig umschrieben, einfach direkt. Wünsche äußern. Stattdessen wird erwartet und das dann auch nicht zu knapp. Mut ohne zu denken, was der andere sagen könnte. Eine Meinung abseits der bequemen Linie haben. In eine Vorleistung gehen ohne zu wissen, ob es sich nachher „lohnt“ oder „erfolgreich“ ist. Eine gesunde Neugier ohne gleich vollständig durchleuchtet zu werden. Das Mensch, ein Übersehender und fehlerbehaftetes Wesen.

NurStein

„Es ist doch nur ein Stein. Ein alter Ziegelstein, der entsorgt werden soll …“

Mich machen solche Aussagen nachdenklich. Beinahe beleidigt beziehe ich das Gesagte auf mich. Eben „nur“ und „alt“. Menschen entsorgen ist zur Zeit noch nicht politisch so korrekt. Kommt aber noch. Den ein möglicher Zwang zur Organspende und die Pflicht einen ID-Chip in sich tragen zu müssen, es ist nur eine Frage der Zeit bis die verbleibende Lebenszeit endgültig ein ausgeprägtes Lebensqualitätsmerkmal wird: Je älter du bist und deine Bereitschaft zur Notschlachtung verweigerst, umso mehr Niveaulimbo spielt man mit deiner Lebensqualität.

Steine.

Neben Bäumen offensichtlich ein Sujet, was mich verfolgt. Da sind die BetrachtSteine, Reste der „Villa Schaf“, die mittlerweile und Gott sei Dank Geschichte ist. Noch immer bin ich von „Erde, Himmel, Licht“ angetan. Was stecken in dem Objekt alles für Gedanken, Überlegungen, Experimente, Arbeit und Zeit drin. Mittlerweile hat die Arbeit einen anderen Besitzer gefunden, der mir, wenn sie an der vorgesehenen Stelle angebracht ist, ein Foto schicken wollte. Der Leser kann sich denken, worauf ich heute immer noch warte.

Ich bekomme eine Einladung, mich in den Resten eines Abrisses umzusehen. Neues Material für gelegentliche Basteleien. Heute schimpft sich das Upcyceln. Upcycling ist so etwas wie Eklektizismus, nur eben neudeutsch modern formuliert. Eklektisch? Wie unkreativ! Warum eigentlich? Der halbwegs mitdenkende Bildungsbürger stelle sich mal vor, die Natur hätte ihren Datenschutz, das Copyright und Betriebsgeheimnis. Wir Menschen wären ganz schön in den Arsch Hintern gefickt. „Gern bin ich Ideengeber, ungern eine Pausvorlage“ sagt der Evolutionsleugner.

In einem Haufen aus Schutt und Stein lächelt mich dieser eine Stein an. Er ist kein ganzer Ziegelstein mehr und seine Form ist etwas gebogen. Nicht jede Seite ist gerade und glatt. Die Oberfläche des Ziegelstein ist rissig und es ist eben nicht der Mörtel vom Mauern. Ich erinnere mich, dass ich solche Steine schon einmal gesehen habe. So sieht ein Ziegelstein aus, wenn er beim Brennen zu viel Hitze abbekommen hat. Später, wenn er gebrannt ist und dann Feuer sieht, zerbröselt er nur. Die Spuren sind jedoch beim Brennen in der Ziegelei entstanden.

Ich finde einen zweiten Stein. Er ist ganz, leicht gebogen, seine Oberfläche zeigt nur die Risse. Meine Gastgeber können für den Moment nicht meine Euphorie über den Fund teilen. Sie hatten sich bestimmt erhofft, dass ich ihre Steine schubkarrenweise vom Hof trage. Angesichts meiner begrenzten Lagermöglichkeiten im Atelier handeln wir einen bemerkenswerten Deal aus: Ich nehme meinen Erstfund mit und erhalte wenige Wochen später zu meinem Geburtstag den ganze Ziegelstein als Geschenk. So sei es verkündet und später auch geschehen. Nie zuvor bekam ich einen Ziegelstein geschenkt, erst recht nicht zum Geburtstag.

Beide Steine liegen einige Zeit im Atelier. Irgendwann greife ich den ersten der beiden und lege ihn über Nacht in eine Wachsoda-Lösung. Nach reichlichem Spülen und trocknen, überziehe ich die Oberfläche mit einer Schicht transparenten Epoxidharz. Damit glänzt er nicht nur, auch die zarten Farben treten nach dem Aushärten deutlich satter hervor.

Zwischenzeitlich hatte ich den Gedanken gehabt, die Oberfläche des Steins zu beklecksen. Doch ich nahm recht schnell wieder Abstand davon. Dieser Dreiviertel Teil eines Ziegelsteins, eigentlich Ausschuss, in manchen Augen wertlos und absolut nicht zu gebrauchen, fand dennoch eine Bestimmung in dem abgerissenen Bau. Jetzt, so kurz vor seiner Entsorgung, finde ich ihn und gebe ihm noch einen weiteren Sinn. Im Stil des Wabisabi ist es für mich ein Kunstobjekt so wie er jetzt ist: Absolut einzigartig!

Ich gebe dem Objekt den Namen „NurStein“: Es ist nur ein Stein. Der entsorgt gehört.

Jetzt steht er einfach in meinem Büro und wenn mir danach ist, dann kann ich ihn betrachten und berühren. Er lässt sich drehen, die Oberflächen kann ich ertasten und spüren, immer wieder Neues an ihm entdecken. Es wäre schön, wenn wir Menschen diese Art des Umgangs gegenseitig pflegen würden, statt uns täglich in den Kampf um die Besitzstandswahrung und nächsthöhere Komfortstufe zu begeben. Da verlange ich jetzt aber ein bisschen zu viel. Es ist doch eben nur ein Stein, um den es sich nicht lohnt eine derart sentimentale Gefühlsduselei zu betreiben.

243_2020

Ein perfekter Kreis

Ein perfekter Kreis
Nr. 2945
Unikat: Handabzug auf Technischem Fotofilm, 18 x 24 cm
(c) 2020 Ronald Puhle

Wenn ein Kreis ein Kreis ist, wie kann er dann auch noch ein perfekter Kreis sein?

242_2020

Licht auf Licht

Licht auf Licht
Nr. 2942
Unikat: Handabzug auf Technischem Fotofilm, 18 x 24 cm
(c) 2020 Ronald Puhle

Wir brauchen nicht über Dinge reden, die unabänderlich sind.

Einfach Licht drüber gebügelt

„Ich hab alten Fotofilm für dich. Der soll Licht gesehen haben, schwärzt sich am Rand. Sind aber alles kleine Abschnitte.“

Der neue Kollege mistet die Hinterlassenschaften seines Vorgängers aus. Sein Fotofilm ist ein moderner technischer Film für die Maskenherstellung. Modern ist vielleicht etwas übertrieben, in der Ausbildung sollte man ruhig jene Technologien zeigen, die die digitale Arroganz erst möglich gemacht hat. Jedenfalls hält er mir einen Karton größer A4 vor die Nase und ich beisse an.

Nun sitze ich im Atelier und sortiere im Rotlicht das überlassene Fotomaterial aus. Alles was kleiner 13 x 18 cm ist Basis zum Einbelichten und der Rest ein Fall für die vorbildliche Entsorgung. Ich habe eigentlich nur Kleinzeug kleiner der klassischen Postkarte. Allmählich macht sich in mir Wut breit: Der Karton war eine klassische Mogelpackung. Am Ende komme ich auf 8 Bögen, die nach dem Zuschnitt ein Lichtbild von etwa 18 x 24 cm ergeben. Bei der zu erwartenden Ausbeute lohnt es sich eigentlich nicht, dem Thema überhaupt anzunehmen. In meinem Materiallager liegen einige Kartons ORWO FU5-Film für meine PosaNeg-Aktivitäten. Da brauche ich diesen Spaß hier nicht.

Es gibt eine kleine Herausforderung: Wenn das Material Licht und sei es nur partiell gesehen hat, lässt sich dennoch ein Motiv drüber belichten? Also ich denke da an eine Doppelbelichtung. Die erste Belichtung völlig zufällig, die zweite Belichtung mein Motiv. Um es gleich vorweg zu nehmen: Entwickelt mit einem Lithentwickler. Andere Spielvarianten mit superadditiven Entwicklerkombinationen fasse ich nicht ins Auge. Wenn, dann soll es Hydrochinon und die Zeit alleine richten.

Dank der vielen Schnipsel komme ich auf eine „funktionierende“ Kombination aus Belichtung und Lithentwicklung. Die Materialabschnitte verhalten sich sehr unterschiedlich. Dazu kommt, das Filmmaterial auf Sicht entwickeln etwas andere Abbruchkriterien hat, da das „Positiv“ später mit einen weißen Hintergrund verklebt wird.

Irgendwie funktioniert das, was ich vorhabe. Für den Fall, dass ich das Filmmaterial zu lange entwickle, bade ich das Positiv auf Negativmaterial in Selen und lasse den Farmerschen Abschwächer das überschüssige Silber abtragen. Der Fall trifft zum Glück nur einmal ein. Alles andere kann ohne Nacharbeit weiterverarbeitet werden. Statt erwärmter Gelatine verwende ich zum Verkleben des Mixed Media Imagine-Papier von Canson mit dem technischen Film diesmal handelsüblichen Zellleim, angereichert mit einem Schuss Latex Bindemittel. Diese Kombination lässt sich im Gegensatz zur Gelatineverklebung, weil nicht so temperaturempfindlich, besser verarbeiten.