Der Dritte

Ich befinde mich im Jahr Drei nach einer Diagnose ‚Hodgkin Lymphom‘.

Vor drei Jahren freute ich mich wie hulle: Drei der sechs Zyklen sind fast geschafft, ‚Gandalf der Weiße‘ und die gesamte Praxis macht 14 Tage Sommerurlaub. Ich nehme mir in dem Mehr an Erholungszeit vor wieder zur Kamera zu greifen. Doch es kommt alles anders. Eine Gürtelrose verhagelt mir das Bergfest und parallel kollabieren die Geschmacksnerven. Bis auf ein paar längere Spaziergänge und grottig schlechte Aufnahmen kriege ich nichts gebacken. Die Nervenschmerzen begleiten mich noch heute, ein Mal, das wohl nicht weichen will.

Ich falle in Erinnerungen zurück, suche die Blogs, die über ihre Erfahrungen mit Hodgkin und BEACOPP eskaliert berichtet haben. Sie sind fast alle weg. Ich denke nicht, dass es die Betroffenen nicht geschafft haben. Immerhin waren es junge Menschen, was man von mir nicht behaupten kann. Vielmehr glaube ich, dass es das fehlende Interesse der Hobbyjournalisten/-autoren ist ihre – wichtige – Geschichte eines Hodgkin-Patienten nach der Chemotherapie weiter zu schreiben. Wo vorher die Ungewissheit und Unsicherheit zur Verarbeitung durch Schreiben motiviert hat, bekommt man heute für die ‚Probleme danach‘ nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Oder verschiebt die eigenen Prioritäten. Schließlich hat man es doch geschafft, darf weiterleben und hat gefälligst mit dem Jammern aufzuhören. Ich halte dagegen:

Der eigentliche Kampf gegen die Erkrankung mit dem Hodgkin Lymphom hat nach dem Abschluß der Chemotherapie und dem negativen PET/CT begonnen!

So ist jedenfalls meine Erfahrung.

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Lebensqualität

Bis zu jenem ersten Samstag Anfang Mai 2016 meine ich dieses Wort ‚Lebensqualität‘ nie wahrgenommen zu haben. Es war ein Weißkittel, der mich wenige Stunden vor Beginn der Chemotherapie ‚offiziell‘ über meinen Gesundheitszustand aufklärte. Vom Februar bis eben hin zu diesem Tag im Mai bestand mein Wissen nur aus dem Rumgedruckse der Ärzte, Andeutungen und dem Lesen der immer offenen Arztbriefe. OK, da war noch der Operateur bei der Biopsie eines Lymphknoten. Kurze Zeit nach dem operativen Eingriff stand er mit seinem Doktoren-Geschwader vor meinem Luxus-Kassenpatient-Krankenbett und ließ mich wissen, dass es sich wohl um ‚malignes Lymphgewebe‘ handle. Der Rest der Meute schaut mich bedröppelt an und ich verstehe nur Bahnhof. Nicht weil ich es nicht verstehen will, die Narkose tut einfach noch ihre Wirkung.

Im Bett gegenüber liegt Schneewittchen. Er sieht eigentlich wie ein Frosch mit Minipli aus, liegt nur auf dem Rücken in seinem Krankenlager und schnarcht so laut, dass Ohrstöpsel nutzlos sind. Ihm wurde Fettgewebe aus der Halsgegend entfernt und selbst nach bekunden seines Weibes leidet er nun wie es nur Männer können. Nachdem die Ärzteschar das Vier-Mann-Zimmer verlassen haben, meint Schneewittchen zu mir: ‚So eine Diagnose möchte ich ja nicht haben.‘ Schön dass er wenigstens verstanden hat, was der Weißkittel mir gerade gesagt hat. Und wo wir schon beim Austausch unserer Leiden sind, meldet sich mein linker Bettnachbar: ‚Also ich kann ja so schwer atmen und lass mir deshalb die Nase operieren.‘ Mir platzt hier gleich der Kragen. Ich rapple mich auf und schlepp mich aus dem Zimmer. Irgendwer muss mir das Gesagte noch einmal erklären, für Dummies im Narkoserausch.

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Wechselbad der Gefühle

‚Gandalf‘ lädt zu sich ein. Also nicht persönlich. Darum muss ich mich selbst kümmern. Er macht Vorschläge, wann wir uns zur nächsten Kontrolle treffen und ich mach dann den Termin.

Im September 2018 haben wir uns auf Anfang 2019 geeinigt. Nun hat es doch bis Ende Februar gedauert. Es kostet mich Überwindung einen Termin bei meinen Onkologen zu machen. Anfänglich war es der Geruch in der Praxis, der Übelkeit in mir hervorgerufen hat. Das hat sich mittlerweile gelegt. Selbst vom gelegentlichen Duft des Burger-Bräters, der eine Etage tiefer seinem Geschäft nachgeht, wird mir nicht mehr schlecht. Nein, es ist diese Ungewissheit in der Woche nach dem Besuch bei ‚Gandalf, dem Weißen‘: Kommt ein Anruf und ich muss noch einmal hin, weil sich ein Wert verschlechert hat? ‚Sauron‘ gar zurück gekehrt ist? Auch wenn ich versuche diesen Seelendruck gelassen zu nehmen, mein Unterbewußtsein lässt sich nicht täuschen. Er, der Druck, ist latent da.

Bis jetzt zeigte ‚Gandalf“s Daumen immer klar nach oben. Selbst der kritische Nierenwert bessert sich allmählich, auch wenn er noch nicht im Optimum ist. Juhu, könnte man meinen. Aber kommen die gelegentlichen Schmerzen in der Lendengegend vom Rücken oder sind es die Nieren? Mein Schmerzempfinden hat sich zu sehr verändert, so dass ich alte Erinnerungen an Vor-Chemo-Zeiten nicht verwenden kann. Ich muss neue Bewertungsmaßstäbe finden und ansetzen. ‚Gandalf‘ wird mich fragen wie es mir geht. Die eine oder andere Schwester auch. Mein Lieblingsspruch: ‚Wie sie sehen, ich bin noch da!‘.

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Rückblick, weil ja alle irgendwie zurückblicken

Das Jahr begann mit viel Hoffnung, der nur meine Ungeduld im Weg stand. Ab Februar vier Wochen Wiedereingliederung, ab März nach 10 Monaten Abwesenheit wieder vollwertig im Job zurück. 10 Monate Abstand hinterlassen ihre Spuren, schärfen das Ohr. Vieles wirkt für mich befremdlich, ich meine es wird wenig gefordert, zu schnell der Kopf in den Sand gesteckt, mangelnde Belastbarkeit und allein der gute Wille wie eine Großtat honoriert. Das erzeugt Aggressivität. Auf beiden Seiten.

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