Kleinstbildnegativ und Turaphot Witte Brom

Es ist nicht so, dass ich mich während des verfügten Hausarrest langweile. Nein, es gelingt mir mich zu beschäftigen. Und wieder abzulenken, damit das, was ich eigentlich tun wollte, weiter vor mir her geschoben wird. Gestern habe ich mir vorgenommen, die Torsi und Bilder links liegen zu lassen und stattdessen die Entwicklerbäder anzuheizen. Es sind noch ein paar Abzüge offen und warum auch immer möchte ich mal wieder mit Pyrogallol und ORWO Fotopapier arbeiten. Morgens, ich mache mich gegen sechs Uhr für den ersten Spaziergang des Tages fertig, greife ich mir die Blechbüchse mit dem Konvolut alter Filmnegative.

Auf dem Weg ins Atelier fällt mir ein, dass in der Büchse auch eine Tüte mit für mich seltsam schmale Negative liegt. Grob erinnere ich mich, dass darauf Menschen abgebildet sind, weshalb diese Streifen überhaupt noch da sind. Ich beschließe mich heute nur mit diesen Negativen zu befassen! Relativ schnell ist klar, es sind Kleinstbildnegative, grob gemessen etwas mehr als 16 Millimeter breit. Auf einem der Negative ist ein Datum vermerkt: 4. 3. 34. Auf einem anderen Streifen wird auf eine Abschlussfeier verwiesen. In einem Abzug finde ich später ein Motiv Junger Mann in Uniform und Hakenkreuz-Binde. Insgesamt bin ich von der Armut in den Bildern überrascht. Oder die Mode war einfach so.

Ich befrage das Datenorakel Google nach Kleinstbildkameras. Ich lande wieder und wieder bei Walter Zapp und Minox. Zapp hat aber eine 8 x 11 mm-Kamera entwickelt. Halbwissen Wikipedia datiert Kleinstbildkameras mit 16 mm-Film in die früher 1960er Jahre. Das passt nicht mit meinen Negativstreifen zusammen. Sie müssen aus der Zeit um 1934 stammen. Nicht weil es auf einem Negativstreifen geschrieben steht. Nein, es handelt sich um einen Dickschichtfilm. Er wölbt sich extrem und die Emulsion am Rand der Streifen zeigt es eindeutig. Dünnschichtfilme kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf.

Ohne die Frage nach der damaligen Kleinstbildkamera vorerst klären zu können, beginne ich mit den Abzügen. Erst wollte ich mit dem Vephota-Papier weitermachen. Doch ohne Umbauten kriege ich die Vergrößerung nicht aufs 13 x 18 cm-Fotopapier. Das Fotopapier muss kleiner sein, 10 x 15 cm und noch weniger. Aus meinem Lager angle ich mir eine angefangene Packung Turaphot WW 111 Witte Brom. Ich kann mich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang sie in meinen Besitz gelangt ist. Als Erfahrungswert vierzig Sekunden Belichtungszeit und ein erwärmtes Lith-Bad später gibt das Fotopapier Zeichen! Ich mache mich ran und ziehe weitere Aufnahmen ab. Unabhängig von einer Belichtung zeigt das Papier schwarze Sprenkel und wohl auch wegen dem kleinen Format ein unanständig geiles Korn.

Nach Abschluss meines Spaziergangs wieder im Betonpalast angekommen, suche ich weiter nach einer Kleinstbildkamera, die um 1934 existierte und 16 Millimeterfilme belichtete. Es hat eine Weile gedauert, doch ich werde fündig: Die Wiko Standard von Konrad Köhnlein (Nürnberg) ist eine 16 mm Kamera und wurde um 1934 gebaut. Also nix Minox oder siebziger Jahre. Mit dem Wissen bestürme ich die Bucht und falle fast vom Glauben ab. Hier wird eine Wiko Standard von 1934 angeboten und der Händler möchte stolze 2200 Euro dafür haben. Die Welt ist verrückt. Es bleibt die Erfahrung, auch mal mit diesem Format gearbeitet zu haben.

Erinnerungen werden wach

Morgendlicher Spaziergang, der wie immer und rein zufällig im Atelier einen Zwischenstopp einlegt. Tee trinken, Pinsel in die Hand nehmen, Kopfhörer auf volle Pulle und im Takt die Farbe verteilt.

Ich fühle mich an die Zeit der Chemotherapie erinnert. Wenn ich nicht an den Tropf musste und es mir halbwegs gut ging, dann bin ich ins Atelier geschlichen. Ich habe geschaut ob alles in Ordnung ist, vielleicht den einen oder anderen Handschlag gemacht, um zum Schluss im grossen Bogen in den Betonpalast zurück zu trotten. Damals wusste ich, warum ich es tat. Mir waren Alternativen, Risiken und Nebenwirkungen bekannt: Ich gebe Zeit mit der sehr sehr guten Chance Lebenszeit dazu zu gewinnen.

Heute ist das etwas anders. Medialer Gleichklang, als gäbe es ein Propagandaministerium, dass die Parole vorgibt. Da sind die Helden in vorderster Front, Frontberichte und tagtägliche Erfolgsberichte, volle Regale und alles gesichert. Ich sehe etwas anderes, Leere, Angst und Sorgen in den Augen derer, die mir auf Abstand entgegenkommen.

Mir fehlen Alternativen, die es gibt doch totgeschwiegen werden, kein kritisches Wort, kein Aufschrei. Drei Hauptakteure, die das Leben diktieren. Nicht weil sie müssen, sondern weil sie es können. Ihrer Macht wegen.

Die Zeit des Corona arbeite ich an einem Bild. Vom Ursprung ist nichts mehr übrig geblieben. Gestern wieder: Ich setze komplett neu an. Alles ist ähnlich wie vor vier Jahren, nur ist das Vorzeichen ein anderes. Ich gebe Zeit, weiss nur nicht für was ich das tue.

Mein Corona-Tagebuch

Ich versuche mich soweit es geht der Hysterie um die Corona-Krise zu entziehen. Geht natürlich nicht. Denn im Verfolgten- und Verfolgerfeld meiner noch erlaubten virtuellen sozialen Kontakte zieht der Wahnsinn seine Kreise: Homeoffice, Selbstquarantäne, vorbeugende Quarantäne und fehlendes Klopapier. Ganz vorbildliche Influencer führen sogar Tagebuch und ich muss mir quasi per Liveschalte anhören, wie blöd der Mensch sein kann, um in den Zeiten der großen Not witzig herüberzukommen.

Ich kann mich dem Gewissensterror um das #Zuhausebleiben nicht entziehen. Fast jeder Fernsehsender pappt solch einen Spruch auf den Bildschirm und meint nun, etwas Gutes zu tun. Selbst mein Bespaßungssender Nummer Eins 1-2-3 TV verkloppt alles was im Lager rumliegt mit dem Hinweis, dass der Schranz wohl wegen dem da draussen nicht mehr auf Sendung kommen wird.

Auch wenn ich mich wiederhole: Die Mutti hat Deutschland in Tiefschlaf versetzt, damit unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird und wir, die solidarische Gemeinschaft, die Alten und Vorgeschädigte schützen. Nur noch Systemrelevantes darf weitermachen. Also so wichtige Sachen wie Germany Next Top Model, Lets Dance, Deutschland sucht den Superstar, Big Brother und/oder Masked Singers. Das verstehe ich. Allmählich kocht jedoch in den Medien des Gleichklangs ein Gedanke hoch, ob dieser – wie der gebildete Bildungsbürger sagen würde – Shutdown in der Wirkung nicht verheerender ist als die Quarantäne der Corona-Zielgruppen. Bitterböse formuliere ich um: Also lieber Alte und Vorerkrankte isolieren als eine Wirtschaft bewusst gegen den Baum fahren lassen, damit alles bis auf das total wichtige Systemrelevante stehen und zu Hause bleibt.

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Wie, Regeln?

Man möchte, dass die Menschen in den Ländern ihre ’sozialen Kontakte‘ einschränken.
Muss ich jetzt wirklich meinen Facebook-Account löschen?

Schließlich greifen einige Länder zum Mittel der ‚Ausgangssperre‘. Wer also noch soziale Kontakte pflegt, darf sich nicht mit denen treffen. Damit die Facebooklosen überhaupt noch was vom Leben haben, stehen sie am Fenster und Klatschen in die Luft. Der Deutsche ist da anders gestrickt und viel pragmatischer: Er feiert Corona-Parties!

Es ist erstaunlich, wie schnell sich die hochgelobte europäische Demokratie in eine Art Diktatur verwandelt. Ja, ich sehe die Ausgangssperre als ein bewährtes Druckmittel der Diktatur.

Dass die Menschen sich nicht an die politisch gewünschten Regeln halten ist doch völlig normal. Regeln sind old school, aus einer vergangenen Zeit und heute nicht mehr politisch korrekt. Jeder hat seine Rechte und wenn etwas zu unternehmen ist, dann sollen es gefälligst die anderen tun. Kommt man mit der Pflichtkeule, dann diskutieren wir solange, bis die letzte gültige Regel wie ein Keks in heißer Schokolade aufgeweicht ist. Und jetzt möchte die Politik ernstgenommen, deren Worte respektiert, be- und geachtet werden? Was für ein Quatsch!

Unsere Bundeskanzlerin hat sich gestern ausgerechnet bei denen bedankt, die in unserer Gesellschaft nur noch den Tritt in den Hintern kassieren dürfen. Verkäuferinnen und Kassiererinnen: Moderne Sklaverei und ein Hunger-Mindestlohn, der den Zweitjob zur Pflicht macht. Hauptsache der Kunde hat es schön billig und im Überfluss. Ärzte und Pflegekräfte: Vor ein paar Monaten sollten noch Betten abgebaut werden, weil Deutschland überversorgt ist. Verfehlte Lobbyarbeit der Pharmaindustrie und ein befürchteter Black out der medizinischen Versorgung a la China und Wuhan, die mit Mitteln der Demokratie nicht so einfach beherrschbar sind. Also schickt man ein Land, fast ganz Europa schlafen. Was für ein Wahnsinn. Der Dank wird medial aufgeblasen zu den Helden des Alltags, Corona-Helden und Helden unserer Zeit. Das ihr euch für eure Verlogenheit nicht schämt! Es wird die Krise noch nicht vorbei sein, da habt ihr eure Helden gefressen!

Berlin’s Regierender Bürgermeister droht mit Ausgangssperre. Seine hauptstädtischen Schäfchen machen nicht das, was man ihnen sagt. Happenings in den Parks, Corona-Parties, Friede, Freude und getanzte Eierkuchen. Die sojasäugenden Übermütter schicken Lasse-Marie und Birthe-Gregor auf den Spielplatz, weil man ja seine verwöhnte Brut nicht Dauerbespaßen kann. Wie sieht es mit Selbstbeschäftigung aus? Man muss auch nicht fast volljährige Fressfeinde pampern. Die können sich auch allein beschäftigen. Beim Kiffen und Vögeln fragen sie ja auch nicht die Mutti.

Das passt alles nicht zusammen. Ich warte auf die nicht persönlich zu nehmende Forderung des Homo digitalis, dass man auch wegen der vielen Rentner auf kranke, alte und ganzganzalte Menschen verzichten kann. Also Corona wüten lassen und das nicht mehr so hart arbeitende Restvolk aussterben lassen. Wie die Dinosaurier. Die waren ja auch zu blöd sich den Aschewolken und der fehlenden Sonne anzupassen. Folglich war das Aussterben die einzig logische Konsoquenz. Insofern der Homo digitalis über Logik verfügt. Er ist ja eher so ein Junkie auf Stream und Flatrate.

Gutmensch Homo digitalis jammernd: ‚Ich habe erhöhte Temperatur. Ich glaub, ich habe Corolla.‘
Ronaldo: ‚Oh, wie hoch ist deine Körpertemperatur denn?‘
Gutmensch Homo digitalis: ‚Heute Morgen war sie 36 Grad. Jetzt am Abend sind es schon 36,5 Grad.‘

Eine Gesellschaft kann nur mit Regeln funktionieren. Habe ich mal so gelernt und das macht irgendwie Sinn. Jedenfalls in meinem Weltbild. Im Auto drehen sich die Räder ja auch nach dem Takt des Motors. Dann kamen eines Tages die vielen Gutmenschen und erklärten alles für fast hinfällig. Jetzt darf jeder sein und die nächste Generation bestimmt bereits ab der Pampersgruppe, wo es lang geht. Und nur weil es irgendwelchen Klugscheissern zu anstrengend ist und Zeit kostet der nächsten Generation dringest beizubiegen, kann ich nicht darauf verzichten Rechten und Pflichten zu erwähnen. Jeder muss sich als ein Teil der Gemeinschaft sehen. Stattdessen laufen da draußen Horden bildungsbenachteiligter Egoisten herum, die sich für unverwundbar halten. Und wenn was ist, dann sollen es Pflegekräfte richten und genügend Klopapier da sein.

Pläne für den Haufen, einmal rüber bitte!

In der Bucht ergattere ich eine Packung 13 x 18 cm-Fotopapier von Wephota (nicht Vephota). Chamoisfarbenes Papier. Total old school und damit tierisch Vintage. In erster Linie habe ich im Kopf, darauf meine Negapos zu fotografieren. Der erste Versuch einer Langzeitbelichtung von einer Minute und anschließender Lith-Entwicklung klappt, beim zweiten Mal ziert das Bild grobes Korn, selbst an unbelichteten Stellen. Erst habe ich im Verdacht, dass das Papier zu viel Rotlicht gesehen hat. Ein paar Wochen später, ich ziehe Fundstücke vom Kleinbildfilm auf 13 x 18 cm ab und vergesse, dass es das Wephota-Papier ist, geschieht dasselbe. Ich kapiere jetzt, dass das nichts mit dem roten Licht zu tun hat. Es ist das Papier, dass Altersspuren zeigt. Damit ist klar: Das Wephota-Fotopapier in Chamois stifte ich dem Lichtbildpoet-Projekt und erhoffe mir den einen oder anderen Ausreißer.

Die nächste Planänderung: Eigentlich sollte ich ab dem 26. März 2020 in der Geschäftsstelle meiner Wohnungsgenossenschaft ausstellen. Nach fünf Jahren mal keine Gruppenausstellung. Ich jetzt ganz alleine. Anfang März frage ich nach, ob es dabei bleibt … und man hat mich nicht mehr auf dem Schirm. Ich könnte ab dem 26. März zwar was zeigen, nur ohne Eröffnung und dem ganzen Tamtam.

Na ein Glück, dass ich für die Woche um den 26. März Urlaub geplant und beantragt habe, ihn auch nehmen werde. Dann muss ich mich also nicht um die Bilder, das Rahmen und Hängen derselbigen kümmern. Ich hätte vielleicht stattdessen jetzt Urlaub und könnte mich vor dem Coronavirus im Atelier verstecken. Gewählte Selbstisolation. Wenn ich denn dieses Jahr noch ausstelle, dann soll es – muss es mit Vernissage sein – ab dem 23. Juli 2020 sein. Ich akzeptiere die Planänderung.

Ach ich könnte das imperfekte Wesen Mensch heftigst knuddeln. Wegen der an den Tag gelegten und gepflegten Lieblosigkeit. Geht es um den eigenen Belang, der Lieblosmensch ist vielmehr mit Engagement und Herzblut dabei. Aber so, es geht ja nur um das überkreative Dickerchen und der reagiert sich schon wieder ab.