Binäre Denkmuster und Sprache

Nur dunkel kann ich mich erinnern, was ich in der Schule zur Geschichte der Menschheit gelernt habe. Den Einwurf, alles wäre in der DDR politisch geprägt gewesen, nehme ich auf und gebe ihn von Herzen an den Westen zurück. Deren Weltbild von der sowjetischen Besatzungszone und den unterdrückten Brüdern im armen Osten, wo an jeder Straßenecke ein Russe mit gezückter Maschinenpistole stand und nie die Sonne schien, ist genauso politisch inkorrekt geprägt. Letztendlich hat die Ideologie der Systeme dafür gesorgt, dass das Zusammenwachsen des deutschen Volkes wohl auf Jahrhunderte von der physischen als auch psychologischen Mauer geprägt sein wird. Euphorie und Blauäugigkeit auf der einen Seite, Siegestaumel und Überheblichkeit auf der anderen Seite bleibt, selbst wenn Generationen später eine klare Trennung zwischen Ost und West kaum noch möglich ist. Es ist wie die beschworene Antipathie zwischen Preußen und Bayern: Der Mensch braucht (s)ein binäres Denkmuster, im Großen wie im Kleinen. Freund oder Feind, dazwischen gibt es nichts. Anders ist es vielleicht auch nicht erklärbar, warum der Massenmensch nach Perfektion und absoluter Schönheit strebt. Es geht um die heile Welt und wehe, Menschen wie ich stören sich daran, agieren dagegen und stellen sich gegen das ‚Friede, Freude, Eierkuchen‘-Gehabe.

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Mach’s gut Marcel!

Ich habe Dich, Marcel Magis, während meiner Zeit bei falkemedia (unter anderem Mac Life und DigitalPHOTO) kennen lernen dürfen. Damals hast Du noch in Berlin gewohnt und wir konnten uns, ganz untypisch für Internetworker, in echt treffen. Du erzähltest mir von Artmatic, wir philosophierten über Bryce, die Leiden freiberuflicher Autoren, deine Mitsu und die tollen Kolumnen in der Mac Life sowie das Leben allgemein. Dann holtest du mich zu macnews, ein kurzes Intermezzo für uns beide. Da ich zu meinen Arbeiten nichts sagen möchte, übernahmst du die Eröffnungsrede zur Ausstellung ‚Die Nackten von nebenan‘ im damals neu entstandenen Flackerlight-Atelier. Dich trieb es irgendwann nach Hannover, ich blieb hier und wir sahen uns, trotz aller Beteuerungen, nicht wieder. Zumindest virtuell kreuzten sich gelegentlich unsere Wege. Dank dem Internet durfte ich miterleben, wie es dich zu neuen Ufern trieb. Teils waren deine Stationen eine echte Überraschungen für mich.

Heute war wieder so ein Tag, ich streifte deine Umlaufbahn. Doch dann musste ich lesen, dass du am 07. Mai 2018 diese Erde verlassen hast. Erwartungsgemäß hast du mir nicht Bescheid gesagt, warum auch. Mir schoss sofort Mitsu und die fehlende Leberwurst im Kühlschrank durch den Kopf. Immer wenn meine Gedanken bei dir waren, dann ist es diese eine Stelle aus deinem Buch, die mir einfällt. Denn so ist das Leben: Die Kleinigkeiten und nicht die großen Dinge dominieren es. Nur merken wir es – wie immer – viel zu spät. Ich bedaure es zutiefst, dass sich für uns in jüngster Zeit keine Gelegenheit bot, noch einmal im Charlottchen einzukehren und über das Geschehene der letzten Jahre zu philosophieren.

Mach’s gut Marcel.
Mausmaler Ronald

Das treibt mir die Tränen in die Augen

Zugegeben, es ist Sommerloch und da gehen den Schreiberlingen der Qualitätsmedien nicht nur temperaturbedingt die Themen aus. Unsere Mutti Frau Kanzlerin wurde seit Wochen nicht mehr gesichtet, die SPD scheint es noch zu geben und Sahra Wagenknecht macht auf Macron. Da ist Luft in den Spalten und genügend Platz für eine andere Sarah, die vor einem ganzganz bösen und gemeinen Mietnomaden warnt!

Die letztgenannte Sarah hat im vorherigen Jahr geheiratet und wollte, sich auf nur neun Monate andauernde Flitterwochen befindend, ihre schmucke Eigentumswohnung nicht allein und unbeaufsichtigt lassen. Also hat sie nebst Gemahl einen Kurzzeitmieter und zahlenden Wohnungswart gesucht. Angesichts der aktuellen Wohnungsknappheit natürlich wohl auch schnell gefunden. Für läppische 1400 Euro pro Monat durfte der Gefundene (angeblich Betäbungsspezialist mit Kostenübernahmegarantie seines Arbeitgebers) die Wohnung benutzen. So zumindest die Vereinbarung. Doch Kaution und Mietzahlungen blieben – wie blöd auch – aus.

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Drohgepose: Der Gutenberg kommt!

‚Alter, wo bist du zur Schule gegangen? Baumschule? Das heißt der Held!‘

Ja, jeden Tag ergießt sich über mich füllhornweise der Intellekt des Homo digitalis. Da hat ein geistiger Tiefflieger die Grundschule im dritten Anlauf erfolgreich absolviert, schon hält sich das Genie für den legitimen Nachfolger des Reich-Ranicki und macht mit erhobenen Zeigefinger einen auf Roger Willemsen. Also ich mag Roger Willemsen und sicherlich wird ihm oben auf seiner Wolke kotzübel, wenn sich ein Scheingenie Seiner zu bemächtigen versucht.

Ich möchte Menschen glücklicher zurücklassen als ich sie vorgefunden habe.
Roger Willemsen

Vielleicht ist Roger Willemsen gar nicht an Krebs gestorben. Vielleicht hat ihm vielmehr die Talentfreiheit der Masse und Öffentlichkeit zu schaffen gemacht. Da die Förderung der Talentfreiheit ganz oben auf der Agenda der Gutmenschen steht, hat es ihn einfach umgehauen. Auf Dauer ist die seelische Belastung, derart von Flachzangen umgeben zu sein, nicht ohne körperlichen Schaden auszuhalten.

Jetzt ist DER nächste Schwachsinn im Anmarsch: ‚Gutenberg‘! ‚Gutenberg‘ ist eine Form des Homo digitalis-Gepose, dass es eigentlich DAS Schwachsinn heißen müsste. Nein, ich meine nicht den Karl-Theodor, Ex-Doktor und Ex-Bundesminister. Der hieße auch nachnamentlich Guttenberg. Ich meine den neuen Editor in WordPress, ‚Gutenberg‘ genannt. Alles muss ja einen Code-Namen haben, damit auch der größte Blödsinn einen Anflug von Bedeutung bekommt. Also WordPress, das sogenannte CMS im Hintergrund dieses intellektgeladenen Blogs, soll einen neuen Editor bekommen. Das haben die Entwickler so gewollt, ich persönlich nicht.

Ich bin mit der klassischen Variante ganz gut zurecht gekommen und das, obwohl ich Codefetzen überhaupt nicht mag. Verschlimmbessern durch Auf und Ab-Grades (das war ein hochintellektuelles Wortspiel) mag ich generell nicht. Wenn etwas funktioniert so wie es ist, dann sollte Gut sein. Stattdessen popelt der gelangweilte Entwickler im Code herum und ich als User muss mit der Plage leben. Ich nehm mal Musik aus iOS: Apple hat das so verschlimmbessert, dass die Scheiß-App im Hintergrund Musikdaten lädt, die ich irgendwann mal gekauft aber jetzt nicht auf dem Gerät haben möchte. Ich verbiete Musik das Laden der Daten, aber es tut es trotzdem. Apple ist unanständigerweise eine Billion US-Dollar Wert, das sollte aber nicht diesen Bockmist rechtfertigen dürfen. Diese ‚Friss oder Stirb‘-Mentalität ist eine digitale Unsitte.

Aber die Generation Teletubbies unter den Homo digitalis will ständig Etwas verändern. Da kann man eine Sache eben nicht so weiterlaufen lassen wie sie bisher gelaufen ist. Turbokapitalismus und Turbofortschritt sind zwar völlig überbewertet und gehören eigentlich verboten, doch der Mensch lässt sich gern bis an den Rand der Selbstzerstörung treiben. Weil das heute einfach so ist, würde bestimmt mein lauter Nachbarn sagen. WordPress macht und Heerscharen sozialverkrüppelter Influencer haben endlich wieder was zum Dauer-Dummlabern, angefangen beim Urknall und bis zum völligen Ende der Welt. Wie das am Besten geht? Guckst du alles ‚cool und tolle Sache‘ Fredrik Vogt und sein nervenzehrendes WPerfolg. Eine Frage habe ich da: Hat von seinem ganzen sinnfreien Gequatsche der Kaktus im Hintergrund überhaupt noch Stacheln?

Die Zwangseinführung von ‚Gutenberg‘ wird alles bestimmt einfacher machen, so die social media-Recken. Was sage ich: Viel viel einfacher. Total tinkywinki, Lala, in den Po oder so. Wo bisher Millionen und dem klassischen Editor einen Blog betreiben konnten, muss der bis dato erfolgreiche Blogautor vollkommen verblödet werden. Ich hatte schon nicht den tollen WYSIWYG-Editor genommen, weil er sich eselhaft störrisch gibt und überhaupt nicht das liefert, was ich beim Schreiben meiner anspruchsvollen Artikel gesehen habe. ‚Gutenberg‘ wird mein Schreib- und Nutzererlebnis steigern, oder auch nicht. Aber das ist den WordPress-Machern egal sein. Hauptsache sie sind beim Ausmerzen von programmierten Unwägbarkeiten auf Jahre beschäftigt. Lang lebe die Beschäftigungstherapie!

Ich meine zu glauben, dass der ‚Gutenberg‘-Editor bewusst dazu benutzt wird, um die WordPress-Autoren dieser Erde zu verwirren, den arbeitsscheuen Influencer und untalentierten Hilfeblogger eine sinnlose Beschäftigung im Tutorial reden zu geben, weil sie sonst alle nichts zu tun hätten. Dabei zeigen regelmäßige Updates, dass es genug am Unterbau zu tun gibt. Nein: Der Nutzer soll wie die unterbeschäftigten Macher leiden. Spaßeshalber habe ich das werbende Datenorakel nach ‚Gutenberg‘ und ‚Erfahrungen‘ befragt. Ein Fehler, weil pure Lebenszeitverschwendung. 99% Labersülz auf verbalem Dünnpfiff, egal ob als Artikel oder Youtube-Video. Alle reden, wirklich produktiv mit ‚Gutenberg‘ gearbeitet hat offensichtlich kaum jemand, ich höre immer nur denselben Quatsch.

Gibt es noch diese ganz normalen, eher spartanischen Webseiten? Text, ein paar Bilder dazu und mehr nicht? Ohne diesen Gypsy Bling Bling und Sondra Celli, alles zum Wohl der Netzbetreiber? Klar sollte so eine Seite wie diese hier etwas fürs wählerische Auge sein, aber was da gemacht wird ist pures Gepose auf Kosten des Traffics und der Performance. Größenwahn wohin das trübe alte Auge blickt. Bescheidenheit, die falsche Zier. Wie wahr. Alles ist Luftpumpe, aufgeblasen mit Chemie oder Schönheits-OP, obwohl es eine Beleidigung für’s Auge ist und bleibt. Ich gebe weiterhin dem klassischen Editor den Vortritt. Da waren die Macher von WordPress so spendabel und lassen altgediente WordPressler nicht am langen Arm des ‚Gutenberg‘ verhungern! Danke, ihr Helden, danke!

Ach so: Es muss ‚das Held‘ heißen! Allein der zahllosen Genies, notorischen Nörgler und derer, ‚die in den Keller zum Lachen gehen‘ wegen. Es ist mein Held, der das Held! Wie ‚das Held(enepos)‘, zum Beispiel.

Berlin stinkt – An allen Ecken und Enden

Berliner Kurier – Online – 31. Juli 2018:

Zitat: Abkehr von der Hauptstadt Berlin, wir müssen reden!

Und weiter:

Zitat: Woran liegt es bloß, dass nicht alle Bewohner der tollsten Stadt der Welt gerne in unserem Berlin leben? Und warum sind die Menschen, die in Provinznestern wie Hamburg, Frankfurt, Köln oder Düsseldorf wohnen, so viel zufriedener? Wie berichtet, leben 70 Prozent der Berliner gerne in ihrer Stadt. 30 Prozent dagegen aber wären lieber dauerhaft woanders, ergab eine Forsa-Umfrage.

Seit 55 Jahren lebe ich in dieser Stadt. Und ja, sie hat viel zu bieten, in jedweder Form. Doch mehr und mehr verliert diese Stadt den Boden unter den Füßen. Berlin ist laut, stinkt und an Arroganz kaum zu übertreffen. Wann habe ich zum letzten Mal einen Straßenfeger gesehen? Wann einen Polizist auf Streife? Bahnhöfe stinken nach Pisse, der auf der Straße liegende Müll ist das Laub unserer Zeit. Es werden auf billige Weise Wohnungen gebaut, die ich für viel Geld mieten muss. Vor ein oder zwei Uhr kommt diese Stadt nicht mehr zur Ruhe. Es ist immer Lärm zu hören und niemand schiebt dem ein Riegel vor.

Stattdessen wird von Gentrifizierung und dem Einzug des Geldes gesprochen. Fahr mal S-Bahn in Berlin. Das ist seit Jahren ein einziges Drama: Gruppenkuscheln bei jedem Wetter, nix von einer Armlänge Abstand. Das Reinigen oder gar Reparieren der Waggons muss einhundert und mehr Jahre her sein. Die BVG zieht so langsam mit: Wozu gibt es Pictogramme an jeder Tür, wenn die rollenden Viehställe vom Kunden doch zur Imbissbude umfunktioniert werden. Warum machen die Betreiber nicht von ihrem Hausrecht Gebrauch? Unter dem Deckmantel der Toleranz hat sich die Mehrheit dem Spleen des ach so individuellen Einzelnen unterzuordnen. Wer das nicht möchte, der soll sein Wohl im Six Pack-Eigenheim im Speckgürtel der Großstadt suchen und dort unglücklich werden.

Berlin hat die Kontrolle über sich selbst verloren. Toleranz, Freiheit und geschlechtsneutrale Gleichheit: Wir reden alle und alles ins Koma. Bei all diesen Fantasien wird eines vergessen: Es bedarf Regeln, damit das Leben in einer Metropole auch funktionieren kann. Ich höre nur die Forderung nach Rechten, über Pflichten mag keiner reden wollen. Und alle machen, weil ja ach so kühl und abgedreht, mit. Um ein Recht genießen zu können, bedarf es der Erfüllung seiner Pflicht. Anders formuliert: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Berlin hat lang genug Party gemacht und von seiner Substanz gelebt. Erst ist die tollste Stadt der Welt wieder auf Spur zu bringen, dann darf – im Rahmen – weitergefeiert werden.

Und wer diskutieren will, der geht nach Brandenburg oder Meck-Pomm. Das ist viel Land und wenig Leute, die man mit seinen kruden Gutmensch-Theorien nicht langweilen muss.

Bilderserie: Menschen in der Großstadt – (M)Eine fotografische Sicht auf meine Hauptstadt